Im Namen der Gerechtigkeit - Roman
zwar mit diversen Rechnern.»
«Inwiefern?»
«Ich bin im Serverraum, es gab da eine mittlere Katastrophe.»
«Ah.» Kurzes Schweigen. «Es handelt sich um einen Virus.»
«Dann lass das Antivirenprogramm durchlaufen.»
«Ich weiß nicht, wie man das macht.»
«Was soll das heißen, du weißt nicht, wie man das macht?»
«Ich weiß es nicht. Roberto, ich bin einundsechzig.»
«Na und? Ich bin fünfundsechzig.»
«Kannst du nicht vorbeikommen und einen Blick darauf werfen?»
Doni spürte, wie in seinem linken Oberschenkel das Blut pulsierte.
«Marco», sagte er ruhig. «Dafür gibt es Techniker. Ruf einen von ihnen an. Ich bin Jurist. Ich frage mich, warum ich überhaupt hier bin.»
«Ja, ich weiß, aber du weißt ja, wie das ist …» Er senkte die Stimme. «Dir kann ich vertrauen, wir sind Kollegen. Wer weiß, was diese Typen so rumerzählen.»
«Was könnten sie denn erzählen?»
«Nicht so laut … Nein, du weißt doch, man geht auf gewisse Seiten, und dann fängt man sich vielleicht einen Virus, nicht?»
«Gewisse Seiten?»
«Nicht so laut.»
Doni flüsterte: «Marco, willst du mir etwa sagen, dass du während der Arbeit auf Pornoseiten gehst?»
«Ach was, Porno. Das heißt, nicht direkt. Ab und an surfe ich mal ein bisschen im Internet … Na gut, komm schon, wir verstehen uns doch, unter Männern. Also, hilfst du mir?»
Als er in sein Büro zurückkam, hatte das Licht nachgelassen und der Justizpalast wieder die Oberhand gewonnen. Die kleine mittägliche Freude – weg war sie.
Doni zog die Jalousie hoch und sah hinaus. Es war Viertel nach sechs, und ein Großteil der Arbeit, die er hatte erledigen wollen, lag noch immer ungeschoren auf dem Schreibtisch. Er überlegte einen Moment, ob er Überstunden machen sollte, wie damals, als er noch jünger war (und ihm das Spaß gemacht hatte: Es hatte ihm Spaß gemacht, mal eben schnell für eine Piadina und eine Coca-Cola hinunterzulaufen, es hatte ihm Spaß gemacht, den vergehenden Tag zu spüren, den plötzlichen Schauder des Abends, und es hatte ihm Spaß gemacht, in menschenleerer Einsamkeit zu arbeiten), oder ob er lieber nach Hause gehen sollte.
Schließlich entschied er sich dafür, die Arbeit aufzuschieben. Er war zu müde, und das Ende des Nachmittags mit der Virenbekämpfung bei diesem Perversling von Ferrero hatte ihm den Rest gegeben. Er setzte sich an den Schreibtisch, beschrieb einen Kreis mit der Maus und öffnete Outlook, um einen letzten Blick auf seine Mails zu werfen.
Unter den ungelesenen Nachrichten war eine mit unbekanntem Absender. Er öffnete sie.
2
Sehr geehrter Dottor Doni,
mein Name ist Elena Vicenzi, ich arbeite als freiberufliche Journalistin. Ich bin für verschiedene Lokalzeitungen und vorwiegend für die Zeitschrift A-Zone tätig.
Der Anlass meines Schreibens ist der Fall Ghezal .
Vermutlich ist es eher unüblich, einem Staatsanwalt Beweise zur Verteidigung eines Angeklagten zukommen zu lassen, doch ich habe Vertrauen zu Ihnen und denke, dass ich so verfahren kann.
Zur Sache: In den vergangenen Monaten habe ich viel für eine Reportage recherchiert, und ich habe guten Grund zu der Annahme, dass Khaled Ghezal unschuldig ist.
Dies mag Ihnen wie der übliche Brief einer Verrückten erscheinen, doch bitte glauben Sie mir: Ich bin nicht verrückt.
Ich muss Sie dringend sprechen, denn der Prozess findet bereits in drei Wochen statt. Kann ich mich mit Ihnen treffen? Im Justizpalast oder anderswo, ganz wie Sie es wünschen. Es geht um das Leben eines Unschuldigen .
In der Hoffnung, bald von Ihnen zu hören, und mit freundlichen Grüßen,
Elena Vicenzi
Doni saß einen Augenblick reglos vor dem Bildschirm. Dann schloss er die Nachricht und las noch zwei andere. Eine kam von der Mailänder Sektion des Verbands der Magistratsrichter. Im CC -Feld standen etliche Empfänger, und es ging um das Geschenk für den Generalstaatsanwalt anlässlich des Festessens, das er wie jedes Jahr in der Nähe von Pavia gab. Die andere war eine Mailingliste der Magistratura Indipendente, der rechten Strömung innerhalb des Verbands, der er angehörte. Eine Strömung, die nie eine Rolle gespielt hatte, der Doni jedoch trotzdem beigetreten war: mit einem Drittel Skepsis, einem Drittel Überzeugung und einem Drittel Spaß daran, zu einer Minderheit zu gehören.
Erneut öffnete er die Mail der Journalistin, dann rief er Google auf und gab ihren Namen ein. Elena Vicenzi. Er fand kaum eine Handvoll Treffer. Ein paar vereinzelte Artikel,
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