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Im Namen der Heiligen

Im Namen der Heiligen

Titel: Im Namen der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Bruder Richard las die Lebensgeschichten der Heiligen, die an diesem und am nächsten Tag ihren Namenstag begingen. Bruder Jeromes dürre Gestalt nahm die übliche Pose kriecherischer Frömmigkeit ein. Und Columbanus erschien Cadfael ungewöhnlich bedrückt und in sich gekehrt. Ein Schleier lag über den blauen Augen. Der Gegensatz zwischen dem athletischen Körperbau, dem schönen autokratischen Kopf und der furchtsamen Pietät, die aus seinen Zügen und seiner Haltung sprach, irritierte den Betrachter stets aufs Neue. Doch an diesem Morgen schien er so heftig an irgendeiner inneren Krise zu leiden, an einer tatsächlichen oder eingebildeten Sünde, daß es fast schmerzhaft war, ihn anzuschauen. Bruder Cadfael seufzte und machte sich auf einen weiteren epileptischen Anfall gefaßt, ähnlich jenem, der sie nach Gwytherin geführt hatte. Wer konnte schon voraussehen, was dieser labile, halb heilige und halb idiotische Mensch als nächstes tun würde?
    »Wir haben nur eine einzige Sache zu besprechen«, erklärte Prior Robert salbungsvoll. »Und diese Pflicht werden wir getreu erfüllen. Ich beabsichtige, noch energischer für unser Recht einzutreten, die Reliquien der Heiligen nach Shrewsbury zu bringen. Allerdings müssen wir zugeben, daß wir bisher nicht sonderlich erfolgreich in unserem Bemühen waren, die Leute für unseren Plan zu gewinnen. Auf den gestrigen Tag hatte ich große Hoffnungen gesetzt. Wir haben uns gewissenhaft vorbereitet... «
    Plötzlich wurde er von einem lauten Schluchzen unterbrochen, das sich aus Bruder Columbanus' Kehle rang. Alle Blicke richteten sich auf den jungen Mann, der sich zitternd erhob und mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen vor den Prior trat.
    »Vater Prior, mea culpa! Ich war pflichtvergessen, und ich möchte ein Geständnis machen. Fest entschlossen, meine Seele von dieser Schuld zu reinigen und eine angemessene Strafe zu erbitten, bin ich zu diesem Kapitel erschienen. Denn meine Nachlässigkeit ist die Ursache unserer fortgesetzten Mißhelligkeiten. Darf ich sprechen?«
    Ich wußte ja, daß sich da irgendwas zusammenbraut, dachte Cadfael resigniert und angewidert. Nun, wenigstens wälzt er sich nicht auf dem Boden und beißt nicht ins Gras...
    »Sprich!« befahl der Prior, nicht unfreundlich. »Du hast nie versucht, deine Verfehlungen auf die leichte Schulter zu nehmen. Und ich glaube nicht, daß du eine allzu harte Strafe befürchten mußt, da du selbst stets dein strengster Richter warst.« Das stimmt, dachte Cadfael, und wenn man so etwas geschickt anfängt, kann man den anderen den Wind aus den Segeln nehmen, indem man ihrem Urteil zuvorkommt...
    Bruder Columbanus sank auf die Knie. Cadfael mußte zugeben, daß der Junge sehr anziehend und aristokratisch aussah, und bewunderte wieder einmal die anmutige Gestalt, die fließenden Bewegungen.
    »Vater Prior, gestern hast du mich mit Bruder Jerome in die Kapelle geschickt, wo wir die heilige Winifred um Hilfe bitten sollten. Nun, wir kamen gegen elf dort an, aßen unsere Mahlzeit und dann knieten wir uns hin, denn da gibt es schöne Betstühle und auch der Altar ist sauber und gepflegt. 0 Vater, mein Geist war willig, doch das Fleisch war schwach. Kaum hatte ich eine halbe Stunde lang gebetet, als ich einschlief, den Kopf auf die Arme gesenkt, wie ich zu meiner endlosen Schmach gestehen muß. Es darf nicht als Entschuldigung gelten, daß ich schlecht geschlafen und viel nachgedacht habe, seit wir hier angekommen sind, denn das Gebet sollte den Geist wecken und läutern. Aber ich schlief - und damit habe ich unserer Sache geschadet. Ich muß den ganzen Nachmittag geschlafen haben. Denn das nächste, woran ich mich erinnere, ist der Augenblick, wo mich Bruder Jerome an den Schultern rüttelte und mir sagte, ein Bote wäre eingetroffen, der uns zu euch führen wollte.«
    Er holte tief Atem, und eine Träne rann über den kühn geschwungenen normannischen Wangenknochen. »Bitte du darfst Bruder Jerome nicht beschuldigen, denn er konnte nicht wissen, daß ich schlief. Nimm ihm nicht übel, daß er meine Sünde übersehen und dir nichts davon berichtet hat. Als er mich schüttelte, erwachte ich und ging mit ihm. Er dachte, ich wäre ebenso ernsthaft im Gebet versunken gewesen wie er, und schöpfte keinen Verdacht.«
    Bis jetzt war wahrscheinlich niemand auf den Gedanken gekommen, Bruder Jerome zu beschuldigen. Aber Cadfael war der schnellste und aufmerksamste - und der einzige, der die seltsame Angst in den Augen des Mönchs

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