Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead
wissen.
»Meine Aufwartung machen«, konterte Rebus, »und seiner Schwester berichten, dass wir nicht weiterkommen.« Er hatte eine von Mungos Nahaufnahmen aus den Princes Street Gardens in die Hand genommen. Mairie betrachtete sie ebenfalls.
»Nach allem, was ich gehört habe«, sagte sie, »sind eure Leute ein bisschen zu weit gegangen.«
»Wir haben hart durchgegriffen«, entgegnete Wylie in gereiztem Ton.
»Ein paar Dutzend Hitzköpfe gegenüber ein paar hundert Beamten der Bereitschaftspolizei.«
»Und wer gibt ihnen das Lebenselixier der Publicity?« Wylie klang kampfbereit.
»Ihr und eure Schlagstöcke«, gab Mairie zurück. »Wenn es nichts zu berichten gäbe, würden wir nichts berichten.«
»Aber es ist die Art, wie die Wahrheit manchmal verbogen wird...« Wylie bemerkte, dass Rebus nicht mehr am Gespräch teilnahm. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er ein spezielles Foto an. »John?«, sagte sie. Als die Anrede keine Wirkung zeigte, knuffte sie ihn. »Könnten Sie mich hier vielleicht unterstützen?«
»Das schaffen Sie bestimmt auch allein, Ellen.«
»Was ist denn los?«, fragte Mairie und warf über seine Schulter hinweg einen Blick auf das Foto. »Du siehst aus, als wäre dir ein Geist erschienen.«
»Gewissermaßen«, antwortete Rebus. Er griff zum Hörer, besann sich jedoch eines Besseren und ließ ihn wieder sinken. »Morgen«, sinnierte er, »ist schließlich auch noch ein Tag.«
»Nicht ›auch noch ein Tag‹, John«, erinnerte ihn Mairie. »Das ist der Tag, an dem es endlich losgeht.«
»Ich hoffe nur, dass London den Zuschlag für die Olympischen Spiele nicht kriegt«, fügte Wylie hinzu. »Sonst werden wir ewig und drei Tage damit bombardiert.«
Immer noch scheinbar abwesend, hatte Rebus sich erhoben. »Zeit für ein Bier«, stellte er fest. »Und ich bin dran mit Bezahlen.«
»Ich dachte schon, du würdest gar nicht mehr fragen«, seufzte Mairie. Wylie schnappte sich ihre Jacke und Tasche. Rebus ging voraus.
»Lässt du das nicht hier?«, fragte Mairie und deutete mit dem Kopf auf das Foto, das er immer noch in der Hand hielt. Er warf einen kurzen Blick darauf, bevor er es gefaltet in die Tasche steckte. Dann klopfte er seine anderen Taschen ab und legte Mairie eine Hand auf die Schulter.
»Ich bin zufällig ein bisschen klamm. Könntest du mir vielleicht aushelfen …?«
Später an diesem Abend kehrte Mairie Henderson in ihre Wohnung in Murrayfield zurück. Ihr und ihrem Freund Allan, mit dem zusammen sie den Immobilienkredit abzahlte, gehörten die beiden oberen Stockwerke einer ehrwürdigen viktorianischen Villa. Das Problem war, dass Allan als Kameramann arbeitete und sie schon unter normalen Umständen herzlich wenig von ihm hatte. Diese Woche erwies sich allerdings als mörderisch. Einer der überzähligen Räume war jetzt ihr Arbeitszimmer; auf das steuerte sie geradewegs zu und warf dort ihre Jacke über die Rückenlehne eines Stuhls. Der Couchtisch hatte nicht einmal mehr Platz für einen Kaffeebecher, so viele Zeitungen lagen darauf. Die Ordner mit ihren eigenen Zeitungsausschnitten bedeckten eine ganze Wand, und ihre wenigen journalistischen Auszeichnungen hingen eingerahmt über dem Computer. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und fragte sich, warum sie sich in diesem engen, vollgestopften Raum so wohl fühlte. Die Küche war luftig, aber dort hielt sie sich nur selten auf. Das Wohnzimmer hatte Allan mit seinem Heimkino und seiner Stereoanlage besetzt. Dieser Raum – ihr Arbeitszimmer – war ganz allein ihr Reich. Sie warf einen Blick auf die Ständer mit den Kassetten – Interviews, die sie geführt hatte -, von denen jede ein Leben barg. Caffertys Geschichte hatte über vierzig Stunden Gespräch erfordert, die Abschriften füllten tausend Seiten. Das daraus entstandene Buch war mit größter Sorgfalt zusammengestellt worden, und eigentlich hätte sie dafür eine Auszeichnung verdient. Doch nichts dergleichen war passiert. Die Tatsache, dass das Buch wegging wie warme Semmeln, hatte nichts an ihrem vertraglich vereinbarten Pauschalhonorar geändert. Und es war Cafferty, der in den Talkshows auftauchte, der zu Signierstunden in Buchhandlungen, zu Festivals und zu Promipartys in London eingeladen wurde. Als das Buch in die dritte Auflage ging, verpassten sie ihm sogar einen neuen Umschlag, auf dem sein Name in größerer Schrift gedruckt war als ihrer.
Eine Riesenunverschämtheit.
Und wenn sie Cafferty jetzt begegnete, ärgerte er sie jedes Mal mit
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