Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead
wenig wie Serienmörder, Gangster, korrupte Politiker. Unter den ganzen offiziellen Porträtfotos lag Mungos Nahaufnahme von Santal und ihrer Kamera. Rebus studierte sie einen Augenblick, bevor er sie obenauf legte. Dann ließ er den Motor an und machte sich auf den Weg zum Krematorium.
Dort wimmelte es von Menschen. Familie und Freunde, dazu Vertreter aller politischen Parteien. Auch Labour-Abgeordnete. Die Presse hielt Abstand und drängte sich am Tor zum Krematorium. Vermutlich jüngere Mitarbeiter, die sich darüber ärgerten, dass ihre älteren und erfahreneren Kollegen sich unterdessen beim G8-Gipfel tummelten und die Schlagzeilen und Titelseiten der Donnerstagsausgaben für sich beanspruchten. Rebus verlangsamte seinen Schritt, als die eigentlichen Gäste hineingeleitet wurden. Manche von ihnen sahen ihn fragend an, konnten sich wohl nicht vorstellen, dass er irgendeine Verbindung zu dem Abgeordneten gehabt hatte; hielten ihn für eine Art Geier, der sich am Schmerz Fremder weidete.
Vielleicht hatten sie damit nicht einmal so unrecht, dachte Rebus.
Ein Hotel in Broughty Ferry hielt für danach Erfrischungen bereit. »Die Familie«, richtete der Geistliche sich an die Trauergemeinde, »hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, dass Sie alle herzlich eingeladen sind.« Aber sein Blick verriet etwas anderes: bitte nur engster Familien- und Freundeskreis. Auch das war richtig: Rebus bezweifelte, dass irgendein Hotel in »the Ferry« es mit einer solchen Menschenmenge würde aufnehmen können.
Er saß in der letzten Reihe. Der Geistliche hatte einen von Ben Websters Kollegen gebeten heraufzukommen und ein paar Worte zu sagen. Klang ganz ähnlich wie die Lobrede bei Mickeys Beerdigung: Ein guter Mann … fehlt denen, die ihn kannten, sehr, und das taten viele … seiner Familie eng verbunden … in der Gemeinde sehr beliebt. Rebus fand, dass er lange genug gewartet hatte. Von Stacey keine Spur. Seit jener Begegnung vor der Leichenhalle hatte er nicht mehr viel an sie gedacht. Er vermutete, dass sie nach London zurückgekehrt war oder sich um das Haus und den Nachlass ihres Bruders kümmerte.
Aber die Beerdigung zu verpassen …
Zwischen Mickeys Tod und seiner Einäscherung war mehr als eine Woche vergangen. Und bei Ben Webster? Nicht einmal ganze fünf Tage. Konnte man die Eile als ungebührlich bezeichnen? Stacey Websters Entscheidung oder die von jemand anderem? Draußen auf dem Parkplatz steckte er sich eine weitere Zigarette an und wartete noch fünf Minuten. Dann schloss er das Auto auf und stieg ein.
Can you see the real me …
»O ja«, sagte er ruhig und drehte den Zündschlüssel um.
Chaos in Auchterarder.
Das Gerücht hatte die Runde gemacht, Bushs Helikopter sei unterwegs. Siobhan warf einen prüfenden Blick auf die Uhr, denn sie wusste, dass er erst am späteren Nachmittag in Prestwick eintreffen sollte. Jeder Hubschrauber, der kam, wurde von der Menge mit Pfiffen und Buhrufen begrüßt. In Scharen waren sie kleine Straßen entlanggelaufen, hatten Felder überquert und waren über Mauern in private Gärten gestiegen. Ihr einziges Ziel: zu dem Polizeikordon vorzudringen. Nein, hinter den Polizeikordon. Das wäre der wahre Sieg: zwar immer noch achthundert Meter vom Hotel entfernt, aber auf dem Gleneagles-Gelände. Sie hätten die Polizei überlistet. Siobhan sah Mitglieder der Clowns-Armee und zwei Demonstranten in Knickerbockern mit Golftaschen über der Schulter: die People’s Golfing Association, deren Mission darin bestand, ein Loch auf dem heiligen Meisterschaftsplatz zu spielen. Sie hatte Stimmen mit amerikanischem, spanischem und deutschem Akzent gehört. Sie hatte beobachtet, wie eine Gruppe schwarz gekleideter Autonomer mit vermummten Gesichtern ihren nächsten Schritt plante. Über ihnen brummte ein Flugzeug, das Überwachungsdaten sammelte …
Aber keine Santal.
Auf der Hauptstraße von Auchterarder war die Nachricht eingetroffen, dass das Edinburgher Kontingent daran gehindert wurde, die Stadt zu verlassen.
»Also demonstrieren sie stattdessen dort«, erklärte jemand voller Schadenfreude. »Die Bullen werden an ihre Grenzen stoßen.«
Da hatte Siobhan so ihre Zweifel. Trotzdem versuchte sie es auf dem Handy ihrer Eltern. Ihr Vater ging dran und sagte, sie säßen schon seit Stunden im Bus und seien immer noch da.
»Versprich mir, dass ihr an keiner Demo teilnehmt«, beschwor Siobhan ihn.
»Versprochen«, sagte ihr Vater. Dann reichte er das Handy an seine Frau weiter, damit
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