Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead
und bahnte sich rasch rückwärts einen Weg durchs Gewühl. Sie mischte sich unter die Demonstranten, riss die Arme hoch und klatschte im Rythmus mit den anderen mit. Währenddessen kämpfte sich der Junge auf der Suche nach seinem Angreifer mit vor Wut hochrotem Gesicht durch die Menschenmenge vor ihr.
Er würde sie nicht finden.
Siobhan konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, obwohl ihr klar war, dass ihre eigene Suche sich als ebenso erfolglos erweisen könnte. Und einstweilen befand sie sich mitten in einer Demonstration, die jeden Augenblick in Krawall ausarten konnte.
Ich würde alles für einen Starbucks Latte tun, dachte sie.
Falscher Ort und ganz eindeutig auch die falsche Zeit …
Mairie saß in der Halle des Balmoral Hotels. Die Aufzugtür öffnete sich, und sie sah den Mann im blauen Seidenanzug heraustreten. Sie erhob sich von ihrem Stuhl, während er mit ausgestreckter Hand auf sie zuging.
»Mr. Kamweze?«, fragte sie.
Er verneigte sich wie zur Bestätigung, worauf sie seine Hand ergriff.
»Nett, dass Sie sich so kurzfristig mit mir treffen«, sagte Mairie und versuchte, nicht zu überschwänglich zu klingen. Ihr Anruf war nämlich genau das gewesen: die aufstrebende Reporterin, überwältigt von der Möglichkeit, mit einem so bedeutenden afrikanischen Politiker zu sprechen … und ob er möglicherweise fünf Minuten erübrigen könnte, um ihr bei einem Porträt zu helfen, an dem sie gerade arbeitete?
Die Pose war nicht mehr nötig: Er stand jetzt direkt vor ihr. Aber natürlich wollte sie nicht, dass er gleich Reißaus nahm.
»Tee?«, erkundigte er sich und ging voraus zum Palm Court.
»Ihr Anzug gefällt mir«, sagte sie, während er den Stuhl für sie zurückzog. Beim Setzen strich sie sich den Rock glatt. Joseph Kamweze schien den Anblick zu genießen.
»Danke«, erwiderte er und rutschte auf die gepolsterte Bank ihr gegenüber.
»Ist es ein Designermodell?«
»In Singapur gekauft, auf dem Heimweg von einer offiziellen Mission in Canberra. In Wirklichkeit eher günstig …« Er beugte sich verschwörerisch zu ihr vor. »Aber das bleibt unter uns.« Er grinste über das ganze Gesicht, wobei ein Goldzahn hinten in seinem Mund sichtbar wurde.
»Ich möchte Ihnen noch einmal danken, dass Sie gekommen sind.« Mairie holte Notizbuch und Stift aus ihrer Tasche. Außerdem hatte sie ein kleines digitales Aufnahmegerät und fragte ihn, ob es ihm etwas ausmachen würde.
»Das wird von Ihren Fragen abhängen«, sagte er, erneut grinsend. Die Kellnerin kam, und er bestellte Lapsang Souchong für sie beide. Mairie hasste das Zeug, ließ es sich jedoch nicht anmerken.
»Die Rechnung übernehme ich«, erklärte sie ihm. Er wischte das Angebot mit einer Handbewegung beiseite.
»Das spielt keine Rolle.«
Mairie hob eine Augenbraue. Sie war immer noch mit ihrem Handwerkszeug beschäftigt, als sie die nächste Frage stellte.
»Ihre Reise wurde von Pennen Industries finanziert?«
Das Grinsen verschwand; sein Blick verhärtete sich. »Wie bitte?«
Sie bemühte sich, einen Eindruck von Naivität zu erwecken. »Ich habe mich nur gefragt, wer Ihren Aufenthalt hier bezahlt.«
»Was wollen Sie eigentlich?« Die Stimme klang eiskalt. Seine Hände fuhren die Tischkante entlang.
Mairie tat, als läse sie in ihren Aufzeichnungen nach. »Sie gehören zur kenianischen Handelsdelegation, Mr. Kamweze. Was genau erwarten Sie vom G8-Gipfel?« Sie vergewisserte sich, dass das Aufnahmegerät funktionierte, und legte es auf den Tisch zwischen ihnen. Die völlige Normalität dieser Frage schien Joseph Kamweze aus dem Konzept gebracht zu haben.
»Schuldenerlass ist für Afrikas Wiedergeburt von eminenter Bedeutung«, zitierte er. »Finanzminister Brown hat darauf hingewiesen, dass einige von Kenias Nachbarn …« Unfähig weiterzureden, brach er ab. »Warum sind Sie hier? Ist Henderson überhaupt Ihr richtiger Name? Ich bin ein Idiot, dass ich Sie nicht nach Ihrem Ausweis gefragt habe.«
»Ich habe ihn hier.« Mairie schickte sich an, in ihrer Handtasche danach zu suchen.
»Warum haben Sie Richard Pennen erwähnt?«, unterbrach Kamweze.
Sie zwinkerte ihm zu. »Das habe ich nicht getan.«
»Lügnerin.«
»Ich habe von Pennen Industries gesprochen, und das ist eine Gesellschaft, kein Individuum.«
»Sie waren mit dem Polizisten in Prestonfield House.« Das klang wie eine Tatsache, obwohl es auch nur eine Vermutung sein konnte. So oder so, sie leugnete es nicht.
»Ich glaube, Sie sollten jetzt gehen«,
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