Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead
der Demonstranten gedämpft hatte.
Archie wandte den Kopf zu ihr um. »Schottisches Wetter!«, brüllte er. »Was würden wir bloß ohne es machen?«
Auf der Forth Road Bridge lief der Verkehr mit »minimalen Störungen«, und frühe Straßenblockaden auf der Quality Street und der Corstorphine Road waren aufgelöst worden. Archie fuhr langsamer, um eine weitere Blockade zu passieren, was Siobhan nutzte, um sich mit dem Jackenärmel den Nieselregen vom Visier zu wischen. Als sie blinkten, um von der Schnellstraße abzubiegen, schien ein anderer, kleinerer Hubschrauber sie zu begleiten. Archie hielt seine Maschine an.
»Endstation«, sagte er. Sie hatten noch nicht einmal die Stadtgrenze erreicht. Aber vor ihnen, jenseits eines Polizeikordons, wogte ein Meer von Fahnen und Transparenten. Sprechchöre, Pfiffe und Buhrufe.
Bush, Blair, CIA, how many kids did you kill today? Derselbe Sprechchor, den sie beim Verlesen der Toten gehört hatte.
George Bush, we know you, your daddy was a killer, too. Gut, das war jetzt ein neuer …
Siobhan ließ sich vom Soziussitz gleiten, gab Archie den Helm zurück und bedankte sich. Er grinste sie an.
»Werd wohl nicht allzu viele so aufregende Tage erleben«, sagte er, während er sein Motorrad umdrehte. Beim Losfahren winkte er ihr zu. Siobhan erwiderte den Gruß, wobei das Gefühl langsam in ihre Finger zurückkehrte. Ein rotgesichtiger Polizist stürzte auf sie zu. Sie hielt ihm bereits ihre Dienstmarke hin.
»Umso idiotischer von Ihnen«, blaffte er sie an. »Sie sehen aus wie eine von denen.« Er zeigte auf die in Schach gehaltenen Demonstranten. »Die sehen Sie hinter unseren Linien und meinen, da gehören sie auch hin. Und deshalb verschwinden Sie jetzt von hier oder besorgen sich eine Uniform.«
»Sie vergessen«, entgegnete Siobhan, »dass es noch einen dritten Weg gibt.« Und mit einem Lächeln ging sie bis zur Polizeilinie vor, drängte sich zwischen zwei schwarz gekleidete Gestalten und kroch geduckt unter ihren Schutzschilden hindurch. Nun stand sie in der ersten Reihe der Demonstranten. Der rotgesichtige Offizier starrte sie entgeistert an.
»Zeigt eure Dienstmarken!«, rief ein Demonstrant den Polizisten zu. Siobhans Blick fiel auf den Polizisten unmittelbar vor ihr. Er hatte so etwas Ähnliches wie einen Blaumann an. Auf seinem Helm über dem Visier prangten in Weiß die Buchstaben ZH. Sie versuchte sich zu erinnern, ob irgendeiner von dem Trupp aus den Princes Street Gardens die gleichen Abzeichen getragen hatte. Ihr fiel jedoch nur XS ein.
Polizeiexzess.
Das Gesicht des Beamten war schweißnass, aber er machte einen gelassenen Eindruck. Befehle und Aufmunterungen gingen durch die Reihen der Polizei: »Macht dicht!«
»Nur die Ruhe, Jungs.«
»Drängt sie zurück!«
Auf beiden Seiten gab es so etwas wie einen vereinbarten Katalog abgestufter Reaktionen auf das Geschiebe. Einer der Demonstranten, der das Ganze zu kontrollieren schien, rief, der Protestmarsch sei genehmigt und die Polizei setze sich jetzt über sämtliche Absprachen hinweg. Für die Konsequenzen könne er keine Verantwortung übernehmen. Die ganze Zeit hielt er sich ein Handy ans Ohr, während Pressefotografen mit hochgehaltenen Kameras auf Zehenspitzen standen, um etwas von dem Geschehen mitzubekommen.
Siobhahn begann, sich zuerst rückwärts, dann seitwärts zu bewegen, bis sie den Rand des Zugs erreicht hatte. Von diesem Punkt aus suchte sie die Menge nach Santal ab. Neben ihr stand ein Teenager mit schlechten Zähnen und kahlgeschorenem Kopf. Als er anfing, Beschimpfungen loszulassen, verriet sein Akzent den Einheimischen. Einmal klappte seine Jacke auf, und Siobhan erhaschte einen Blick auf etwas, was in seinem Hosenbund steckte und sehr nach einem Messer aussah.
Er hatte sein Handy in der Hand und nahm damit Videoschnipsel auf, die er anschließend seinen Kumpeln schickte. Siobhan sah sich um. Unmöglich, die Polizisten zu rufen. Wenn sie eine Bresche schlügen, um ihn festzunehmen, wäre hier die Hölle los. Also drängte sie sich hinter ihn und passte den geeigneten Moment ab. Als ein Sprechchor ertönte, flogen Hände in die Luft, und sie ergriff ihre Chance. Sie packte seinen Arm, drehte ihn dem Jungen auf den Rücken und drückte ihn so nach vorn, dass er auf die Knie fiel. Mit ihrer freien Hand griff sie nach dem Messer an seiner Taille, riss es heraus und schubste ihn so fest, dass er auf allen vieren landete. Danach warf sie das Messer über eine niedrige Mauer ins Gebüsch
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