Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead
Winkel verdreht; ein Bein vom Aufprall halb umgeknickt; Blut, das aus dem Schädel sickerte. Auf dem Weg nach unten hatte er einen Schuh verloren, und sein Hemd war, wahrscheinlich durch einen Felsvorsprung, aufgerissen worden. Das Polizeipräsidium hatte nur einen einzigen Beamten geschickt, der gerade die Leiche fotografierte.
»Wie wär’s mit einer kleinen Wette über die Todesursache?«, fragte der Beamte Rebus.
»Keine Chance, Tam.« Tam, der Mann vom Erkennungsdienst, hatte bei den letzten fünfzig oder sechzig Fällen keine einzige solche Wette verloren.
»Ist er gesprungen oder geschubst worden, fragen Sie sich gerade.«
»Sie sind Gedankenleser, Tam. Lesen Sie auch aus der Hand?«
»Nein, aber ich fotografiere sie.« Und wie zur Bestätigung ging er mit der Kamera ganz nah an eine Hand des Opfers.
»Schnitte und Kratzer können sehr nützlich sein, John. Wissen Sie, warum?«
»Sagen Sie’s mir!«
»Wenn er geschubst worden ist, wird er Halt gesucht und nach den Felsen gekrallt haben.«
»Erzählen Sie mir lieber etwas, was ich noch nicht weiß.«
Der Spurensicherer ließ noch einmal sein Blitzlicht aufleuchten. »Er heißt Ben Webster.« Er wandte sich Rebus zu, um dessen Reaktion zu beurteilen, und schien mit dem Ergebnis zufrieden. »Ich erkenne sein Gesicht – oder besser, das, was noch davon übrig ist.«
»Sie kennen ihn?«
»Ich weiß, wer er ist. Mitglied des Parlaments oben aus Dundee.«
»Des schottischen Parlaments?«
Tam schüttelte den Kopf. »Des Parlaments in London. Hat was mit International Development zu tun – jedenfalls das letzte Mal, als ich nachgeschaut habe.«
»Tam …«, Rebus klang genervt. »Woher, zum Teufel, wissen Sie das alles?«
»Man muss in der Politik auf dem Laufenden bleiben, John. Die geht uns schließlich alle an. Und außerdem hieß unser junger Freund hier genauso wie mein Lieblingstenorsaxophonist.«
Doch Rebus trottete schon wieder den grasbewachsenen Abhang hinunter. Der Körper war an einem Felsvorsprung ungefähr fünf Meter oberhalb eines der schmalen Pfade liegen geblieben, die sich um den Fuß dieses alten Vulkanstotzens schlängelten. Steelforth stand auf dem Pfad und telefonierte. Als Rebus näher kam, ließ er sein Handy zuschnappen.
»Erinnern Sie sich«, fragte Rebus ihn, »wie wir den Außenminister mit seinem Chauffeur haben fortfahren sehen? Seltsam, dass keiner seiner Männer bei ihm war.«
»Ben Webster«, stellte Steelforth fest. »Gerade haben sie vom Castle angerufen; scheint als Einziger vermisst zu werden.«
»International Development.«
»Sie sind gut informiert, Inspector.« Steelforth musterte Rebus auffällig von oben bis unten. »Womöglich habe ich Sie unterschätzt. Aber International Development ist eine eigene Abteilung im Außenministerium. Webster war PPS – Parliamentary Private Secretary.«
»Das heißt?«
»Die rechte Hand des Ministers.«
»Entschuldigen Sie meine Unwissenheit.«
»Keine Sorge. Ich bin immer noch beeindruckt.«
»Ist das jetzt die Stelle, an der Sie mir ein Angebot machen, damit ich Ihnen vom Hals bleibe?«
Steelforth lächelte. »Das ist normalerweise nicht nötig.«
»In meinem Fall vielleicht schon.«
Aber Steelforth schüttelte den Kopf. »Ich bezweifle, dass man Sie auf diese spezielle Weise kaufen kann. Dennoch wissen wir beide, dass man Ihnen das hier innerhalb der nächsten paar Stunden aus der Hand nehmen wird. Wozu also Energie verschwenden? Kämpfernaturen wie Sie haben in der Regel ein Gefühl dafür, wann es Zeit ist, sich auszuruhen und Kraft zu schöpfen.«
»Laden Sie mich zu Portwein und einer Zigarre in die Great Hall ein?«
»Ich werde Ihnen sagen, wie ich die Dinge sehe.«
Rebus bemerkte, dass sich auf dem Fahrweg unterhalb von ihnen ein weiterer Transporter näherte. Der kam sicher von der Leichenhalle, um den Toten abzuholen. Noch eine Aufgabe für Professor Gates und seine Leute.
»Wissen Sie, was Sie meiner Meinung nach wirklich ärgert, Inspector?« Steelforth war einen Schritt näher gekommen. Sein Handy klingelte, aber diesmal beschloss er, es zu ignorieren. »Für Sie ist das alles eine Art Invasion. Edinburgh ist Ihre Stadt, und Sie sähen es am liebsten, wenn wir hier alle verschwinden würden. Kann man das in etwa so sagen?«
»In etwa schon«, gab Rebus bereitwillig zu.
»Noch ein paar Tage, dann ist alles vorbei, wie ein böser Traum, aus dem Sie erwachen. Bis dahin allerdings …« Seine Lippen berührten beinahe Rebus’ Ohr. »…
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