Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead
»Ich werde Sie nicht bitten, sich zu mir zu setzen«, sagte Rebus zu Steelforth. Er ließ die beiden Männer stehen und stieg die Stufen zum Palm Court hinauf. Dort stellte er sich an die Bar, atmete einmal tief durch und holte, während er darauf wartete, dass Siobhan sich zu ihm gesellte, eine Zigarette aus seiner Jackentasche.
»Kleines Problem mit der Geschäftsführung?«, fragte Siobhan.
»Haben Sie unseren Freund vom SO12 gesehen?«
»Na, die kriegen ja tolle Vergünstigungen beim Special Branch.«
»Ich weiß nicht, ob er hier wohnt, aber ein Typ namens Ben Webster hat’s getan.«
»Der Labourabgeordnete?«
»Genau der.«
»Da steckt bestimmt irgendwas dahinter.« Ihre Schultern schienen ein wenig herunterzusinken, und Rebus fiel ein, dass sie an diesem Abend ja auch etwas erlebt hatte.
»Jetzt erzählen Sie erst mal«, beharrte er. Der Barkeeper hatte Schälchen mit Knabberzeug vor sie gestellt. »Für mich einen Highland Park«, sagte Rebus zu ihm. »Und Wodka Tonic für die Dame.« Siobhan nickte zur Bestätigung. Als der Barkeeper sich umgedreht hatte, griff Rebus nach einer der Papierservietten, holte einen Stift aus der Tasche und notierte sich etwas. Siobhan hielt den Kopf schräg, um besser sehen zu können.
»Wer oder was ist Pennen Industries?«
»Wer immer das ist, die Leute sind spendabel und haben eine Londoner Postleitzahl.« Aus dem Augenwinkel konnte Rebus sehen, dass Steelforth ihn von der Tür aus beobachtete. Betont auffällig winkte er ihm mit der Papierserviette, bevor er sie zusammenfaltete und in die Tasche steckte.
»Und wer hat sich an Ihrem Auto vergriffen – Campaign for Nuclear Disarmament, Greenpeace, Stop the War?«
»Niddrie«, erklärte Siobhan. »Genauer gesagt, das Niddrie Young Team.«
»Meinen Sie, wir können die G8-Staaten überreden, sie in die Liste der Terrorzellen aufzunehmen?«
»Ein paar tausend Marines würden das Problem sauber aus der Welt schaffen.«
»Nur dumm, dass in Niddrie noch kein Öl gefunden wurde.« Rebus streckte die Hand nach dem Whiskyglas aus. Ein kaum merkliches Zittern, das war alles. Er prostete seiner Trinkgenossin, den Vertretern der G8-Staaten und den Marines zu … und hätte auch Steelforth einbezogen.
Wäre der Türrahmen nicht leer gewesen.
Samstag, 2. Juli 2005
3
Als Rebus wach wurde, war es schon hell, und ihm fiel auf, dass er abends die Vorhänge nicht zugezogen hatte. Im Fernsehen kamen die Frühnachrichten. Es schien hauptsächlich um das Konzert im Hyde Park zu gehen. Sie sprachen mit den Organisatoren. Kein Wort über Edinburgh. Er schaltete den Fernseher aus und ging ins Schlafzimmer. Zog sich die Kleider vom Vortag aus und schlüpfte in ein kurzärmeliges Hemd und eine Baumwollhose. Spritzte sich Wasser ins Gesicht, prüfte das Ergebnis und stellte fest, dass er noch etwas mehr brauchte. Nahm Schlüssel und Handy – das hatte er über Nacht ans Ladegerät angeschlossen; so betrunken konnte er also nicht gewesen sein – und verließ seine Wohnung. Zwei Treppen hinunter zur Haustür. Sein Stadtviertel, Marchmont, war eine Studentenenklave, und was ihm daran gefiel, war die Ruhe im Sommer. Ende Juni hatte er ihren Exodus verfolgt, hatte beobachtet, wie sie Autos beluden, die ihnen oder ihren Eltern gehörten, und die Lücken im Gepäck mit Bettdecken zustopften. Sie hatten Partys organisiert, um das Ende der Prüfungen zu feiern, was bedeutete, dass Rebus zweimal Verkehrshütchen vom Dach seines Autos hatte herunterholen müssen. Jetzt stand er auf dem Bürgersteig und sog ein, was von der Kühle der Nacht noch übrig war. Dann ging er in die Marchmont Road, wo der Zeitungsladen gerade aufmachte. Ein paar einstöckige Omnibusse rollten vorbei. Rebus dachte, sie müssten sich verirrt haben, bis es ihm wieder einfiel. Und jetzt konnte er es auch hören: das Hämmern von Handwerkern; eine Lautsprecheranlage wurde getestet. Er gab dem Ladenbesitzer sein Geld, schraubte die Irn-Bru-Flasche auf und leerte sie in einem Zug, was nicht schlimm war, denn er hatte noch eine auf Vorrat gekauft. Die Banane aß er im Gehen – allerdings ging er nicht gleich nach Hause, sondern weiter bis ans Ende der Marchmont Road, wo sie auf The Meadows stieß. Einige Jahrhunderte zuvor war dieses Gelände Weideland am Rand der Stadt und Marchmont selbst nicht viel mehr als ein von Feldern umgebener Bauernhof gewesen. Heutzutage wurde der Meadow Park für Fußball- und Kricketspiele, zum Joggen und Picknicken genutzt.
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