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Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead

Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead

Titel: Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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jedoch nicht.
    Der Melville Drive war bereits abgesperrt worden, wodurch diese wichtige Verkehrsader in einen Parkplatz für Busse verwandelt wurde. Es gab Dutzende davon, und sie standen bis zur Biegung der Straße und darüber hinaus. Sie kamen aus Derby, Macclesfield und Hull, Swansea und Ripon, Carlisle und Epping. Ihnen entstiegen weiß gekleidete Leute. Weiß: Rebus erinnerte sich, dass sie alle aufgefordert worden waren, die gleiche Farbe zu tragen. So würden sie, wenn sie um die Stadt herummarschierten, ein riesiges, sichtbares Band bilden. Er warf einen prüfenden Blick auf seine eigene Kleidung: Die Hose war beige, das Hemd hellblau.
    Gott sei Dank.
    Viele der Leute aus den Bussen waren schon älter, manche ziemlich gebrechlich. Aber alle trugen stolz ihre Armbänder und ihre mit Parolen versehenen Hemden. Einige hatten selbstgemachteTransparente. Sie sahen aus, als fänden sie es wunderbar, hier zu sein. Weiter hinten hatte man Festzelte aufgestellt. Imbisswagen kamen angefahren, um den hungrigen Massen Pommes frites und fleischfreie Burger zu verkaufen. Bühnen waren errichtet worden, und neben einer Reihe von Kränen lagen riesige hölzerne Puzzleteile. Innerhalb von Sekunden hatte Rebus darin die Worte MAKE POVERTY HISTORY ausgemacht. Unweit von ihm standen uniformierte Polizisten, aber niemand, den Rebus kannte; vermutlich stammten sie nicht einmal von hier. Er schaute auf die Uhr. Punkt neun, noch drei Stunden, bis es losging. Kaum eine Wolke am Himmel. Der Fahrer eines Polizeitransporters hatte beschlossen, dass für ihn der kürzeste Weg über den Bordstein führte, womit er Rebus zwang, aufs Gras auszuweichen. Er funkelte den Fahrer an, der seinen Blick erwiderte. Das Seitenfenster ging herunter.
    »Hast du ein Problem, Opa?«
    Rebus streckte zwei Finger hoch, um den Fahrer zum Anhalten zu bewegen. Sie könnten doch ein kleines Schwätzchen halten. Aber der Fahrer des Transporters hatte anderes im Sinn und fuhr einfach weiter. Nachdem Rebus seine Banane aufgegessen hatte, wollte er die Schale zuerst wegwerfen, fürchtete dann jedoch, die Umweltpolizei würde sich auf ihn stürzen. Deshalb steuerte er den nächsten Mülleimer an.
    »Wie wär’s hiermit?«, fragte eine junge Frau und hielt ihm eine Tragetasche hin. Rebus warf einen Blick hinein: ein paar Anstecker und ein T-Shirt mit der Aufschrift »Help the Aged«.
    »Was soll ich denn damit anfangen?«, knurrte er. Sie nahm die Tasche wieder an sich und zwang sich, ihr Lächeln beizubehalten.
    Rebus ging weiter, während er die Reserveflasche Irn-Bru öffnete. Sein Kopf fühlte sich nicht mehr so schwammig an, aber auf seinem Rücken bildete sich Schweiß. Eine Erinnerung hatte sich ihm aufgedrängt: Mickey und er auf Ausflügen der Kirchengemeinde zu den Burntisland Links. Sie fuhren mit Bussen dorthin, aus deren Fenstern Wimpel wehten. Reihenweise Busse, die darauf warteten, sie nach dem Picknick und den organisierten Wettrennen über das Gras wieder nach Hause zu bringen – wobei Mickey ihn regelmäßig aus dem Stand besiegte, sodass Rebus am Ende seine einzige Waffe gegen die zähe Entschlossenheit seines kleinen Bruders einsetzte, nämlich die, es einfach gar nicht mehr zu versuchen. In weißen Pappschachteln befand sich ihr Mittagessen: Schinkensandwich, Kuchen mit Zuckerguss, vielleicht ein hartgekochtes Ei.
    Das Ei ließen sie immer dort.
    Sommerwochenenden, scheinbar endlos und unveränderlich. Jetzt hasste Rebus sie. Hasste es, dass er so wenig erlebte. Der Montagmorgen war eine Erlösung für ihn, eine Abwechslung zu Sofa und Barhocker, Supermarkt und Curryhaus. Wenn seine Kollegen montags zur Arbeit kamen, erzählten sie von Einkaufsbummeln, Fußballspielen und Radtouren mit der Familie. Siobhan war in Glasgow oder Dundee gewesen, Freunde besuchen, quatschen. Kinobesuche und Spaziergänge am Water of Leigh. Niemand fragte Rebus mehr, wie er den Urlaub verbracht habe. Sie wussten, dass er nur mit den Schultern zucken würde.
    Niemand würde es Ihnen übelnehmen, wenn Sie es langsam angehen ließen …
    Nur dass es langsam angehen lassen das Einzige war, wofür er keine Zeit hatte. Ohne seine Arbeit würde er fast nicht mehr existieren. Weshalb er eine Nummer in sein Handy tippte und wartete. Er hörte, wie abgehoben wurde: Mailbox.
    »Guten Morgen, Ray«, sagte er nach dem Piepton, »dies ist Ihr Weckruf. Von jetzt an immer zur vollen Stunde, bis ich die ersten Antworten bekomme. Bis bald.« Er beendete den Anruf und machte sofort

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