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Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead

Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead

Titel: Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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…«
    »Dann ist es wohl an mir, für etwas Licht zu sorgen, stimmt’s?«, erwiderte Siobhan lächelnd, als die Aufzugtüren sich öffneten.
    Das Namensschild an Dolly Jensens Tür gab an, dass sie Dorothy Jensen war, aber nicht, welche Stelle sie bekleidete. Ziemlich hohes Tier, schätzte Siobhan. Jensens Assistentin hatte an die Tür geklopft und sich dann an ihren eigenen Schreibtisch zurückgezogen. Der Hauptraum war ein Großraumbüro, jede Menge Gesichter, die von ihren Computern aufblickten, um den Neuankömmling zu mustern. Ein paar standen mit der Kaffeetasse in der Hand an den Fenstern und beobachteten die Welt draußen.
    »Herein!«, rief eine Stimme. Siobhan trat ein, schüttelte Dorothy Jensen die Hand und wurde gebeten, Platz zu nehmen.
    »Sie wissen, warum ich hier bin?«, fragte Siobhan.
    Jensen lehnte sich in ihrem Schreibtischsessel zurück. »Tom hat mir alles darüber erzählt.«
    »Seitdem waren Sie fleißig, nicht?«
    Jensen ließ ihren Blick über den Schreibtisch wandern. Sie war genauso alt wie ihr Mann. Breitschultrig und mit einem männlich wirkenden Gesicht. Dichte schwarze Haare – die grauen gefärbt, vermutete Siobhan – fielen ihr in makellosen Wellen auf die Schultern. Um den Hals trug sie eine einfache Perlenkette.
    »Ich meine nicht hier, Mrs. Jensen«, erklärte Siobhan, der die Verärgerung durchaus anzumerken war. »Ich meine zu Hause, wo Sie alle Spuren Ihrer Website beseitigt haben.«
    »Ist das ein Verbrechen?«
    »Man nennt es ›Behinderung von Ermittlungen‹. Ich habe erlebt, dass Leute dafür vor Gericht gekommen sind. Wenn uns danach ist, können wir den Einsatz auch auf kriminelle Verschwörung erhöhen …«
    Jensen nahm einen Füllfederhalter von ihrem Schreibtisch, drehte seinen Tank, öffnete und schloss ihn. Siobhan stellte zufrieden fest, dass sie die Verteidigungslinie der Frau durchbrochen hatte.
    »Ich brauche alles, was Sie haben, Mrs. Jensen – sämtliche Unterlagen, E-Mail-Adressen, Namen. Wir müssen alle diese Leute – Sie und Ihren Mann eingeschlossen – überprüfen, wenn wir den Mörder fassen wollen.« Sie hielt inne. »Ich weiß, was Sie jetzt denken – Ihr Mann hat uns genau das Gleiche gesagt -, und ich habe Verständnis dafür, dass Sie so fühlen. Aber Sie müssen uns verstehen. Die Leute, die das getan haben, werden nicht damit aufhören. Sie könnten alle, die auf Ihrer Homepage aufgelistet waren, heruntergeladen haben, und das macht diese Männer zu Opfern – nicht viel anders als Vicky.«
    Als der Name ihrer Tochter fiel, brannten Jensens Augen sich in Siobhans. Aber schon bald wurden sie feucht. Sie ließ den Füller fallen, zog eine Schublade auf, holte ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich.
    »Ich habe es versucht, wissen Sie … habe versucht zu verzeihen. Das soll uns doch göttlich machen, oder?« Sie zwang sich zu einem nervösen Lachen. »Diese Männer gehen ins Gefängnis, um ihre Strafe abzusitzen, aber wir hoffen auch, dass sie sich ändern. Wozu aber sind diejenigen noch gut, die das nicht tun? Sie kommen zu uns zurück und machen immer und immer wieder das Gleiche.«
    Siobhan kannte das Argument zur Genüge und hatte sich mal auf der einen, mal auf der anderen Seite befunden. Aber sie schwieg.
    »Er hat keine Reue gezeigt, keine Schuldgefühle, keine Sympathie … Was ist das für eine Kreatur? Ist sie überhaupt menschlich? Bei der Verhandlung ließ die Verteidigung sich des Langen und Breiten über sein zerrüttetes Elternhaus und seinen Drogenkonsum aus. Sie sprach von einem ›chaotischen Lebenswandel‹. Aber es war seine Entscheidung, Vicky zu zerstören, sein kleiner Machttrip. Daran ist nichts Chaotisches, das kann ich Ihnen sagen.« Jensen, deren Stimme jetzt zitterte, holte tief Luft, setzte sich wieder in Positur und beruhigte sich nach und nach. »Ich arbeite im Versicherungsgeschäft. Hier haben wir mit Entscheidung und Risiko zu tun. Ich weiß so einigermaßen, wovon ich rede.«
    »Gibt es schriftliche Unterlagen, Mrs. Jensen?«, fragte Siobhan ruhig.
    »Ein paar«, räumte Jensen ein. »Nicht sehr viele.«
    »Und E-Mails? Sie müssen doch mit den Besuchern der Website korrespondiert haben?«
    Jensen nickte langsam. »Die Familien der Opfer, ja. Sind sie auch verdächtig?«
    »Wie schnell können Sie mir das alles besorgen?«
    »Muss ich mit meinem Anwalt sprechen?«
    »Vielleicht keine schlechte Idee. In der Zwischenzeit würde ich jemanden zu Ihnen nach Hause schicken. Er kennt sich mit Computern aus.

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