Im Namen des Kreuzes
Senkung der Energiekosten dickere Pullover empfahl, aber Schwarz tat so, als schliefe er. Da fiel ihm ein, dass sein Auto noch vor dem Pfarrhof stand.
»Ich muss doch nicht in die Landsberger, sondern nach St. Stephan.«
»Es gibt mehrere Pfarreien mit diesem Namen«, sagte der Türke.
Daheim warf Schwarz sich aufs Bett und verbarg das Gesicht im Kissen. Aber es half nichts, er entkam Rainer Weber nicht.
Er hatte Webers spöttisches Lächeln vor Augen, als der bemerkte, wie verklemmt er sich in dem Schwulen-Lokal bewegte. Er erinnerte sich, wie leidenschaftlich Weber ihm von seiner Liebe zu Wolfgang Heimeran erzählt hatte, für die es in der Katholischen Kirche keinen Platz gab.
Am meisten aber verfolgte ihn etwas anderes. Weber hatte ihn auf der Heimfahrt gezwungen, in einer Parkbucht anzuhalten. Dort war er zusammengebrochen, weil er begriffen hatte, dass seine große, sich gegen alle Widerstände behauptende Liebe nicht nur edel gewesen war. Sie hatte, ohne dass sie es wollten, auch zerstörerisch gewirkt und einem jungen Menschen das Vertrauen zu seinem väterlichen Freund und Mentor geraubt – und damit vielleicht den einzigen Halt in der Welt.
Und während Weber sich gequält hat, dachte Schwarz, bin ich wie ein Idiot neben ihm gesessen und habe es nicht einmal geschafft, ihn einfach in den Arm zu nehmen in seiner abgrundtiefen Verzweiflung.
Dafür hasste er sich jetzt.
Das Telefon läutete. Schwarz reagierte nicht. Der Anrufbeantworter schaltete sich ein. Es war Eva.
»Ich habe dir schon auf die Mailbox gesprochen, Anton. Warum gehst du denn nicht dran? Ich mache mir Sorgen. Bitte, lass von dir hören.«
Er drehte sich weg.
Wenig später klingelte es erneut.
»Ich bin’s, Luisa. Papa, ich halte das nicht aus, wenn du böse auf mich bist. Bitte, wir müssen reden.«
Schwarz kroch mit dem Kopf unters Kissen. Aber dort erwartete ihn wieder dieses unerträgliche Gefühl, das ihn in dem Moment befallen hatte, als er hilflos und starr neben Rainer Weber gesessen hatte.
»Das wird nie aufhören …«, murmelte Schwarz und erhob sich ächzend vom Bett.
Er ging zu den beiden Kartons und stieß einen mit dem Fuß um. Bücher, alte Zeitungen, Schuhe fielen heraus. Er bückte sich und griff blind in das Durcheinander. Nach kurzem Tasten hatte er das Bündel mit den Briefen gefunden. Der Gummi, der es zusammenhielt, war im Lauf der Jahre so porös geworden, dass er ihm unter den Fingern zerbröselte.
Schwarz setzte sich in seinen Deckchair.
Es waren mehr als zwanzig Briefe, manche zwei oder drei, andere über zehn Seiten lang. Sie waren mit einer sehr regelmäßigen, leicht selbstverliebten Handschrift eng beschrieben, meistens mit blauer, manchmal auch mit brauner oder violetter Tinte.
Schwarz fand es peinlich, wenn Leute in seinem Alter ihre Schwächen, Ticks und Ängste mit irgendwelchen frühen Verletzungen entschuldigten. Sie hatten so viel Zeit für Reparaturmaßnahmen aller Art gehabt. Konnten sie da zum Beispiel noch immer ihre Eltern für ihre eigene Beziehungsunfähigkeit verantwortlich machen? Nein, das war unwürdig, vor sich und den anderen.
Aus dieser Einsicht heraus hatte er an seinem fünfzigsten Geburtstag beschlossen, die Briefe seines Deutschlehrers Robert in den Abfall zu werfen – ungelesen. Doch jetzt hatte Rainer Weber ihm die Augen geöffnet: Irgendwann musste er sich dieser Geschichte einmal stellen.
Schwarz zog den erstbesten Brief aus dem Umschlag.
Du bist begabt, keine Frage, du hast vielleicht sogar eine nicht ganz unbedeutende Zukunft vor dir. Ich habe gestern mit deiner Mutter gesprochen und ihr erklärt, was für Möglichkeiten der Förderung es für dich gibt. Sie war sehr angetan. Aber Förderung allein, lieber Anton, ist es natürlich nicht. Den entscheidenden Schritt musst du selbst gehen. Du kannst schreiben, so viel du willst, und alles bleibt Papier, wenn du nicht bereit bist, deine eigene Mittelmäßigkeit und die Enge deiner kleinbürgerlichen Herkunft wenigstens geistig hinter dir zu lassen.
»Geistig, vor allem«, sagte Schwarz bitter, zerknüllte den Brief, schleuderte ihn von sich und nahm sich den nächsten vor.
Während wir gestern an der Isar spazieren gegangen sind, gleich hinter unserer Brücke, an der die Berge manchmal so nah sind, und du die ganze Zeit geredet hast in deiner aufgeregten Verzweiflung, ist mir aufgefallen, wie viele Sätze du mit ›ich kann nicht‹ anfängst, als hätte man dir irgendwann verboten, ›ich will
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