Im Namen des Kreuzes
winkte ab. »Aber Mama, diese Sprüche sind doch jetzt nicht so neu.«
»Es geht ja noch weiter. Gestern haben an meinem Tisch drei alte Schachteln ernsthaft überlegt, ob man nicht eine Prämie für Mütter einführen könnte, damit die mehr Babys kriegen. Aber nur für die deutschen, weil die gebärfreudigen Türkinnen sonst bald in der Mehrheit sind.«
Schwarz musste an Luisa denken, die ganz ohne Prämie schwanger geworden war. Die Stimmung seiner Mutter würde sich bestimmt schlagartig aufhellen, wenn sie erfuhr, dass sie Urgroßmutter wurde. Er warf einen unsicheren Blick zu Eva. Sie war so jung, und er wurde bald Opa. Diesen Schock musste er ihr unbedingt ersparen – wenigstens bis ihre Beziehung etwas stabiler war.
»Kannst du, wenn die anderen Patienten dummes Zeug reden, nicht einfach weghören, Hildegard?«, sagte Eva.
»Wie denn? Die sind ja alle schwerhörig und schreien wie die Affen.«
»Und bei wem sollst du dich entschuldigen?«, sagte Schwarz.
Seine Mutter brummte unwillig.
»Bei wem?«
»Bei diesem ehemaligen Landrat.«
»Wofür denn?«
»Dafür, dass ich gesagt habe, was ich denke.«
Schwarz und Eva sahen sie fragend an.
»Er hat rumposaunt, früher sei alles besser gewesen.« Sie räusperte sich. »Da habe ich gesagt, dass er damit sicher die Nazi-Zeit meint. Ihr hättet ihn hören müssen. Sein Vater sei im christlichen Widerstand gewesen, und sein Onkel hat natürlich Juden versteckt …« Sie stöhnte. »Es ist immer dasselbe: » Hat der Jude recht, dann bekommt er erst recht Schläge .«
Schwarz war insgeheim begeistert von der Wandlung seiner Mutter. Seit sie nach vielen Jahrzehnten ihre falsche Identität als Vertriebene aus dem Egerland aufgegeben hatte und sich zu ihren jüdischen Wurzeln bekannte, war sie nicht etwa ängstlicher, sondern selbstbewusster geworden. Die kleine, bescheidene Frau, die immer nur geblümte Kittelschürzen getragen hatte und möglichst nicht auffallen wollte, entwickelte sich zu einer regelrechten Rebellin. Wahrscheinlich ersetzte sie demnächst ihre dezent silberfarbene Dauerwelle durch eine freche rote Fransenfrisur.
»Könnt ihr mich nicht einfach mitnehmen?«, sagte Hildegard mit einem tiefen Seufzer.
»Unmöglich, Mama. Ich stecke mitten in schwierigen und nicht ganz ungefährlichen Ermittlungen.«
»Da kann ich dir doch helfen, Tonele.«
»Um Gottes willen.«
»Ich habe keine Angst.«
»Das ist mir klar. – Bitte, tu mir den Gefallen! Du musst versuchen, dich hier zu arrangieren.«
Er sah, wie sie resignierte, und wie Eva mit ihr litt. Trotzdem blieb er hart.
»Die Kur dauert ja nicht ewig.«
Seine Mutter nickte. Sie hatte Tränen in den Augen.
47.
Steinsberg war kein malerischer Ort. Die meisten Häuser waren in den Fünfziger- und Sechzigerjahren erbaut worden, als eine große Schmiede für landwirtschaftliche Geräte für Arbeitsplätze gesorgt hatte. Doch die allgemein nur Pflugfabrik genannte Firma war nach kaum zwanzig Jahren pleitegegangen. Viele Bewohner hatten daraufhin das Dorf verlassen und waren in die umliegenden Kleinstädte gezogen.
Nur an der Steinsberger Hauptstraße lagen einige hübsche Bauernhöfe, die bescheidene gotische Dorfkirche und der alte Pfarrhof.
Und es gab das Kloster.
St. Joseph bestand aus mehreren miteinander verbundenen Gebäuden aus verschiedenen Epochen. Das Haupthaus stammte noch aus dem Barock, später waren klassizistische Bauten hinzugekommen. Die ganze Anlage wirkte sehr verschachtelt und war rundum von einer viel zu hohen Mauer umgeben, die eher zu einer Wehrburg als einem Kloster passte. Der abweisende Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, dass St. Joseph seit Jahrzehnten nicht mehr renoviert worden war. Der einstmals helle Anstrich war grau, auf der Wetterseite fast schwarz geworden, da und dort hingen Fensterläden schief in den Angeln, an vielen Stellen bröckelte das Mauerwerk.
Richtig einladend wirkte nur die große, sonnenblumengelb getünchte Klosterkirche mit ihrem Zwiebelturm.
Eva fuhr zum dritten Mal die Hauptstraße entlang, bog in die letzte Querstraße ein, in der sie noch nicht gewesen waren, fuhr auf der von Reihenhäusern gesäumten Bachstraße zurück und näherte sich wieder dem Ausgangspunkt.
»Hier gibt’s keine Pension. Wir müssen uns was in der nächsten Kleinstadt suchen.«
Schwarz machte ein unzufriedenes Gesicht. Ihm hatte ein Quartier möglichst nah am Kloster vorgeschwebt.
»Ah, Moment«, rief Eva. An der Straße standen zwei Frauen mit
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