Im Namen Des Schweins
Tagesdecke zurück, setzt sich an der Kante auf die Decke und holt aus der Reisetasche ein sorgfältig zusammengerolltes Bild hervor: Madonna mit Kind vor einer Landschaft, Giovanni Bellini, Pinacoteca dei Brera. Auch den Kulturbeutel holt er heraus, wühlt darin herum. Er fühlt etwas, womit er nicht gerechnet hat, etwas Festes und Würfelförmiges. Noch bevor er sich erinnert hat, was es ist, holt er es heraus. In seiner Hand liegt ein kleines Schmucketui. »Jewell Zoo« steht in aufgedruckten Buchstaben auf dem geschlossenen Holzdeckelchen.
P steckt das Etui tief in seinen Kulturbeutel. Er fragt sich, während er auf die weiß verputzten Wände schaut, wie lange er hier wohl bleiben müssen wird.
In der Welt
In den Räumlichkeiten der Abteilung des Kommissars schreibt Rodero etwas an die Tafel, zweifelt aber und dreht sich zum Konferenztisch um: »Berganza, wie hieß die Norwegerin?«
Berganza muss nicht erst in sein Notizbuch schauen.
»Martha noch was, aber alle nennen sie ›Heidi‹.«
Rodero schreibt »Heidi« an die Tafel.
»Können Sie uns etwas zu ihr sagen, Berganza …?«
»Also … Sie hat ziemlich unangenehme Umgangsformen. Sie wollte unter allen Umständen mit uns Englisch reden, obwohl wir sicher sind, dass sie perfekt Spanisch spricht. Als junge Frau dürfte sie sehr attraktiv gewesen sein, zumindest besitzt sie diese Selbstsicherheit von Frauen, die daran gewöhnt sind, dass Männer sie begehren … Außerdem hält sie sich für überaus helle und glaubt, Gedanken lesen zu können. Sie hat im Tal hin und wieder einen Job als Vertretung der Englischlehrerin. Manchmal hilft sie auch im Café unter den Arkaden aus. Wenn sie Geld braucht, wäscht sie dort die Teller ab, putzt die Fenster … Es sieht so aus, als wäre sie ziemlich dicke mit der Susi, der Besitzerin des Ladens …«
»Gut«, unterbricht Rodero, »für uns ist sie interessant, weil sie die Einzige im Dorf ist, die ein Monatsabo besitzt, das uns in die Hände spielt: Qué Leer. Für alle, die es nicht kennen: Dies ist die bekannteste Literaturzeitschrift hier«, er schreibt den Namen der Zeitschrift an die Tafel. »Wenn der Augenblick gekommen sein sollte, reicht es, ein einziges Exemplar der Zeitschrift zu präparieren – das einzige Exemplar, das San Juan del Horlá erreicht –, um die Information einzuschleusen, die wir in Bezug auf unseren verdeckten Ermittler einschleusen wollen. Schreiben wir mit?«
Rodero hat die Frage an T gerichtet, der seine Aufzeichnungen vorliest: »Heidi, Norwegerin, impertinent, Gedankenleserin, gibt Englisch-Unterricht und putzt im Café unter den Arkaden, abonniert Qué Leer …«
In der Hölle
Am Morgen herrscht unendliche Stille im Hostal. P sieht im Speiseraum die beiden tauben Alten wieder, die frühstücken. Sie sind in Begleitung von zwei Frauen, die ebenfalls taubstumm zu sein scheinen und vermutlich ihre Ehefrauen sind. Die stille, wenn auch flüssige Konversation wird vom Geklapper des Geschirrs betont. Keine Spur von Morticia Adams. Immerhin ist ein kleines Buffet aufgebaut, an dem P sich mit einem Kaffee zur Zigarette bedient.
Gegen acht verlässt er das Haus, während es auf der Kirchenuhr zwanzig nach eins ist. Auf dem Weg zum Café unter den Arkaden begegnet ihm ein Traktor. Ein Bursche um die dreißig fährt ihn. Der Schädel ist über den Schläfen rasiert, in der Mitte steht ein besonders blonder, verfilzter Kamm empor. Er hat ein blau-weiß gestreiftes Hemdchen an, das vom ständigen Tragen ausgebeult ist. Kampfeinheit: Nexus 6. Im Vorüberfahren mustert er P von der Höhe seines Sitzes aus eingehend. P hebt die Augenbrauen und murmelt einen Gruß. Nexus erwidert ihn nicht. Er fährt an ihm vorbei. Hinten auf dem Hemdchen steht: »10, Maradona«.
Das zweite menschliche Wesen taucht ein Stück weiter auf. Eine blonde Frau, die im Café unter den Arkaden die zwei Glastüren putzt. Als sie sieht, dass P näher kommt, hält sie einen Augenblick mit der Arbeit inne, faltet das Wischtuch auseinander und faltet es wieder zusammen. Schlanke Figur, enge Jeans, weites Poloshirt, kleine Brüste und knochige Hände. Ihre Augen sind nicht zu sehen. P grüßt sie. Sie knurrt tief. P geht in das Café und spürt die Blicke in seinem Rücken.
Im Lokal ist es vergleichsweise dunkel. Im Kamin brennt kein Feuer mehr. Die Tische sind übersät mit Gläsern und Flaschen, als wäre das Fußballspiel von gestern Nacht gerade erst zu Ende gegangen. Nur ein Mann um die fünfzig trinkt einen
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