Im Namen Des Schweins
anderen saßen hier drin und haben Fußball geschaut. Es regnete, war kalt und der Typ saß da draußen und trank Bier … Er sah aus wie die Abgeschiedenheit in Person.«
»›Abgeschiedenheit‹, das ist genau das Wort, das auf uns alle zutrifft. Das ist eine eigene Welt hier, das werden Sie noch merken … Ist Ihnen die Kirchturmuhr aufgefallen? Es gibt keinen mathematischen Algorithmus, der erklären könnte, wie sie funktioniert. Aber wussten Sie schon, dass in dieser Pfarrei ein Fernseher, der auf den Altar gestellt wird, die Messe hält?«
Schluck Kognak.
»Echt?«
»Wenn ich es doch sage. Dabei ist es nicht einmal so, dass wir keinen Pfarrer hätten: Wir haben einen, den haben Sie sicher schon einmal zusammen mit dem Metzger gesehen, aber der hat sich darauf verlegt, das Amt als Metzgers Schatten zu übernehmen.«
»Ist der Metzger dieser Bär, der aussieht wie ein Goliath?«
»Genau.«
»Und der Pfarrer sieht aus wie das tapfere Schneiderlein?«
»Hat man Ihnen schon einmal gesagt, dass sie eine Begabung für Spitznamen besitzen? Wir nennen die beiden einfach nur das Priesterlein und den Metzger, ich nehme mal an, dass sich niemand traut, sie anders zu nennen. Schon gar nicht den Metzger. Die teilen sich die Metzgerei, das Haus und bisweilen auch das Bett, so dass man sie also als stabile Beziehung bezeichnen könnte. Dabei leben sie in Wirklichkeit zu dritt zusammen, das ist unsere bescheidene homosexuelle Lobby.
Kennen Sie Rito schon? Der ist hier so die Tunte, zumindest kann er ziemlich tuntig werden … Er ist einer der Zugereisten, die auch schon ewig hier sind. Seinen Spitznamen hat er wegen Rita Hayworth weg. Das hat damit zu tun, dass der Metzger ihn einmal in aller Öffentlichkeit ohrfeigte, weil er in der Genossenschaft auf der Theke tanzte … Dabei ist es nicht besonders ungewöhnlich, in der Genossenschaft auf der Theke zu tanzen. An einem Samstagabend kann da alles passieren. Einmal kam ein Streifenwagen um vier Uhr morgens vorbei und denen fiel doch echt nichts Besseres ein, als das Lokal räumen zu wollen wegen Gott weiß welcher Schließzeiten. Da fing die Bande an, den Ort wortwörtlich zu räumen. Die Tische flogen aus den Fenstern gegen die Polizeiwanne, was erklärt, warum die Tische jetzt aus Eisen und Marmor sind. Der Metzger kam so in Rage, weil der Rito eine provokant frivole Show abzog … Und höchstwahrscheinlich spielten da noch andere Geschichten eine Rolle, über die niemand spricht … Ich war ja damals ehrlich gesagt nicht dabei, aber so wie ich den Rito kenne, könnte ich mir vorstellen, dass der die Hüften geschwungen hat wie so ein Stricher aus dem Kingdom.
Bis ihn der Metzger von der Theke herunterholte, und als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, bekam er eine solche Ohrfeige verpasst, in der wohl seine ganze Seele gelegen haben dürfte. Wenn Sie einmal darauf achten, werden Sie sehen, dass dem Rito fast ein ganzer Schneidezahn fehlt. Der Metzger trägt immer noch seinen Ehering, auch wenn böse Zungen behaupten, das läge nur daran, dass er ihn nicht mehr von seinen Wurstfingern abbekommen würde. Was der sich einmal in den Kopf gesetzt hat, setzt er auch um … keine Frage. Von seiner Ex und immer noch Ehefrau stammt das Gerücht, dass er sie geschlagen hat, das aber streitet er vehement ab. Und obwohl jetzt alle gesehen haben, wie er dem Rito das Fell über die Ohren zog, muss ich sagen, dass er eigentlich kein Mann ist, der nicht zu dem steht, was er tut. Dafür spricht ja auch seine ganze Vergangenheit …« Schluck Kognak.
»Ah ja … gibt es da eine längere Vorgeschichte?«
»Jeder kennt die Geschichte. Wollen Sie die hören?«
»Solange wir noch etwas zu trinken in den Gläsern haben …«
»Eigentlich ist er eine der wenigen schillernden Figuren des Ortes. Die meisten Leute hier sind scheu, mit sich selbst beschäftigt, ihren Ländereien, der Schweinezucht … Früher war er wohl auch so, ein fleißiger Landwirt, der als Sohn einer Witwe nie aus seinem Dorf herausgekommen ist, nicht einmal zum Militärdienst. Er hat spät geheiratet, da war er schon über vierzig, aber das ist hier nichts Besonderes, weil es zu wenig Frauen gibt. Kinder hat er keine gehabt, aber ansonsten schien alles mit seiner Frau gut zu laufen, bis eines Tages, da war er schon über fünfzig, so richtig die Fetzen flogen. Niemand spricht darüber, was genau der Auslöser war, aber sicher ist, dass sie sich so angebrüllt haben, dass die Nachbarn aus den Betten
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