Im Namen Des Schweins
und allgemeiner Betriebsamkeit. Ein Metallstift sorgt dafür, dass sich die Scheibe am Fenster nur eine Handbreit nach oben schieben lässt. T schließt das Fenster ganz. Dreht dann an den Schaltern der Air-Condition, verpasst ihr ein paar Klapse, weil sie klappert wie ein Sportflugzeug. Er setzt sich auf das Bett, greift zum Telefon und wählt die Nummer der Rezeption. Er vertraut darauf, dass jemand am anderen Ende spanisch sprechen wird.
So ist es: Er muss der Dame am Empfang nur die Nummer geben, ein bisschen warten und alle Arten von Pieptönen über sich ergehen lassen.
»Ja, hallo«, sagt eine klare, männliche Stimme deutlich vernehmbar.
»Kommissar …«
»Menschenskinder, der Weltreisende … Wie geht’s …?«
»Gut, ich bin gestern Abend angekommen …«
»Und wie lief es? Alles gut?«
»Der Flug war gut. Das Hotelzimmer ist miserabel. Aber ich habe ganz schön gestaunt, als ich die ersten Wolkenkratzer gesehen habe. Unsere sehen dagegen aus wie Spielzeug.«
»Ja, ja … Und wie ist die Stimmung …?«
»Im Zentrum sind so viele Menschen unterwegs … Gestern bin ich gleich bis in die Puppen um die Blöcke gezogen. Nach der Reise habe ich dann heute Mittag bis nach zwölf geschlafen. Hier ist es jetzt drei Uhr Nachmittag.«
»Wir essen gleich zu Abend … Tortilla depatates. Also ist alles okay, ja? … Und Dein Englisch? …«
»Tss … Die sprechen hier so schnell, aber verhungern werde ich wohl nicht …«
»Warst Du schon am Institut?«
»Nein, ich warte das Wochenende noch ab, bevor ich den Antrag stelle. Um die Stadt ein bisschen kennenzulernen …«
»Das ist eine gute Idee … Lass es Dir gut gehen. Es ist toll, dass Du hier mal rausgekommen bist …«
»Und was ist mit der Uni-Pork-Geschichte?«
»Eieiei, mein Lieber … Ich stehe in Kontakt zu den Psychos … Kennst Du Puértolas …?«
»Du brauchst kein Wort mehr zu sagen … ›Mmmmm, nicht wahr?‹, ›Natürlich‹ … Hat er Dir noch nichts vom Garten der Lüste erzählt, das ist wie eine Obsession bei ihm …«
Das Kichern des Kommissars ist zu hören: »Ja … Und von einem Schwein mit Nonnenschleier und vielen anderen Dingen … Gut, hör mal … Pass auf Dich auf, genieß es so sehr Du kannst … Der Anruf wird Dich ein Vermögen kosten …«
»Gib Mercedes einen Kuss …«
»Mach ich auf der Stelle … Melde Dich bald wieder, ja?«
Als T aufgelegt hat, zieht er sich aus, programmiert seine Armbanduhr, damit sie ihn in einer halben Stunde weckt und legt sich auf das Bett. Er schließt nicht sofort die Augen, sondern schaut sich die Risse auf der gestrichenen Tapete an. Wie sich die Farbtöne verändert haben an den Stellen, wo früher mal ein Bild hing. Der Originalton des Hotels, als es 1917 eröffnet wurde, muss ein fast heiteres Blau gewesen sein, das man noch hinter den Nachttischchen und im Einbauschrank bewundern kann. Aber vierundachtzig Jahre später ist daraus ein unbeständiges Lagunengrün geworden. Vor T hängt hinter einem durchsichtigen Plastikrahmen lediglich ein Bild: Madonna mit Kind vor einer Landschaft, Giovanni Bellini, Öl auf Holz, 109 34, Pinacoteca di Brera. Die Schrift am unteren Rand kann man nicht lesen, aber T kennt die Angaben auswendig.
Er schaut an die Decke und versucht zu überschlagen, wie viele Leute wohl bereits in diesem billigen Bett geschlafen haben. Mit diesen Schiebefenstern, die sich kaum öffnen lassen, damit sich niemand in den Innenhof stürzt. Den warnenden Schildern, keiner fremden Person die Tür zu öffnen. Bei seiner groben Kalkulation kommen Tausende von Neuankömmlingen heraus, die hier ihr Glück versucht haben oder vor einem bescheideneren Glück in irgendeinem anderen Winkel der Erde davongelaufen sind. T fragt sich, wieso er sich wohl gewünscht haben könnte, in einer so dreckigen, alten Stadt zu leben, die voll ist mit Verrückten, die schimpfen und herumschreien … Er sucht nach einer knappen Antwort und ist überrascht, dass ihm sofort eine einfällt: Er möchte in dieser Stadt bleiben, weil sie lebt. Möglicherweise ist sie auch schon tot, aber trotzdem brodelt es unentwegt vor Betriebsamkeit. Wie es in einem toten Hund von Millionen von Würmern brodelt, die eifrig darum bemüht sind, in dem Kadaver zu überleben.
Er überlegt, dass es wahrscheinlich eine gute Idee sein wird, sich beim Ministerium um ein Aufenthaltsstipendium zu bemühen. Wenig später schläft er ein und träumt, er sei ein Wurm in einer glibberigen Materie, die unerwartet angenehm
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