Im Namen Des Schweins
riecht.
***
Es ist Dienstag. Eine Woche ist vergangen, seit T in der Stadt ist. Er trinkt seinen ersten morgendlichen Kaffee auf der Straße, in Gesellschaft einer Gruppe von Rauchern. Es ist, als würden sie sich gemeinsam vor dem Schwarm der Büroleute verschanzen, die über die 7. Avenue stürmen wie die Lachse beim Laichen. Die Raucher sind nie dieselben, aber zwischen ihnen existiert eine gewisse Verschworenheit wie die von Landsleuten in einem fremden Land oder von Jugendlichen, die sich auf einer Party zurückziehen, um Drogen zu nehmen. Der amerikanische Kaffee beginnt ihm immer besser zu schmecken. Zumindest die erste Tasse am Morgen. Da weiß der Körper die zuckersüßen und koffeinreichen Schlucke besonders zu schätzen. Es ist das beste Nahrungsmittel, um sich in dieser Hektik auf den Straßen zurechtzufinden. Alle um ihn herum scheinen genau zu wissen, wohin sie gehen wollen und wirken wild entschlossen, dort so schnell wie möglich anzukommen. T ist sich da nie so sicher. Er hat den ganzen Vormittag Zeit, um eine banale Formalität zu erledigen: Er will heute am Institut vorbeischauen und sich wegen der Stipendien informieren. Aber wenigstens hat er damit heute ebenfalls einmal ein konkretes Ziel, dass es Schulter an Schulter mit den anderen Würmern in der Leiche umzusetzen gilt.
Er setzt sich auf die Treppenstufen des Madison Square Gardens, um die Zigarette zu Ende zu rauchen. Wenige Meter entfernt von ihm hockt ein fürchterlich übergewichtiger Mann mit einem dreigeschossigen Sandwich, aus dem die Mayonnaise tropft, vor einem Campingtisch, der wiederum mitten auf dem Bürgersteig steht. Er ist schlecht rasiert, schlechter noch frisiert und trägt offensichtlich keine Strümpfe in seinen Sportschuhen, denen auch die Schnürsenkel fehlen. Auf dem Campingtisch befindet sich außer seinem elefantenhaften Ellenbogen noch ein riesiger Becher Coca-Cola. Mayonnaise und Salat liegen herum, die aus dem Sandwich gekleckert sind. Ein Plastikbehälter steht dort mit ein paar Münzen und auf dem Boden liegen zusammengerollte Geldscheine. Daneben steht ein Schild, auf dem in großen, handgeschriebenen Buchstaben mit Filzstift steht: HELP FOR THE HOMELESS. Trotz seiner Gelüste auf wehrlose Sandwichs, hat die Person etwas Seliges an sich. Diese räudigen Knöchel und zerzausten Haare. Er sieht aus wie eine Art himmlisches Wesen, das mitten zur Stoßzeit Gestalt angenommen hat. Irgendwann stopft er sich den letzten Rest des Sandwichs in den Mund, schüttet die Coca-Cola hinterher, um besser schlucken zu können und fängt an, mit kaputter, aber überaus kräftiger Stimme zu rufen: A help for the homeless, ladies and gentlemen, a help for the homeless …
Das Schauspiel hat T Appetit gemacht. Jemanden zu sehen, der mit so großer Lust isst, hat ihn auf die Idee gebracht, irgendwo, wo es normales Besteck gibt, vernünftig frühstücken zu gehen. Er macht seine Zigarette an einer Treppenstufe aus. Dann steckt er, bevor er sich in den Straßenverkehr stürzt, einen Zehn-Dollar-Schein in den Behälter jenes überproportionierten Engels. Und der Engel bricht, wie eine Puppe auf dem Jahrmarkt, die vom Obolus angeknipst wird, in dankende Rufe aus: Thank you, sir, God bless you, sir … Dann macht er sich auf den Weg Richtung Osten und nimmt seinen Rhythmus auf. 34., Fifth Avenue, 42. Er erreicht mit konstanter Durchschnittsgeschwindigkeit die Lexington Avenue und bleibt vor einem Café stehen. Es sieht elegant genug aus, um ein anständiges Besteck erwarten zu dürfen. Tische sind frei. Der mexikanische Kellner bedient ihn freundlich und redet mit ihm spanisch. Die Eier sind sunny side up und das Löffelchen zum Kaffee ist aus echtem Metall. T legt zehn Dollar extra auf den Tisch. Für das Lächeln und das Löffelchen. Dann geht er hinaus, um zu rauchen. Während er sich schnell die Zigarette ansteckt, sucht er die Adresse des Instituts heraus, die auf der Rückseite eines Visitenkärtchens steht. Es ist ganz in der Nähe: 42. East. Allerdings braucht er eine Weile, bis er die Hausnummer zwischen den Baugerüsten und Werbeplakaten entdeckt hat.
Als er den Eingang gefunden hat, bringt er eine schwere Drehtür in Schwung, wie ein Hamster sein Rad. Er gelangt in die Empfangshalle aus Marmor. Alte Kronleuchter hängen an der Decke. Der Pförtner in Uniform schaut ihn an, ohne etwas von ihm zu wollen. T geht in einen der alten Fahrstühle hinein, die noch aus Holz und Messing sind, und drückt auf den Knopf mit der 11.
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