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Im Namen Des Schweins

Titel: Im Namen Des Schweins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pablo Tusset
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Kennst Du die Geschichte der ersten Impfungen?
    »Nein.«
    »Das erzähl ich Dir ein andermal, das ist kein gutes Thema für ein Mittagessen.«
    Als T das sagt, sieht er bereits, wie die Vorspeisen gebracht werden. Bon appétit, sagt er, bevor er die Suppe probiert. Suzanne schaut noch einen Augenblick nachdenklich drein, so als würden ihr viele Fragen durch den Kopf gehen, und als wüsste sie nicht, mit welcher sie beginnen sollte: »Hattest Du mal eine Adoptivfamilie? Entschuldige, falls Dir die Frage zu indiskret erscheint, es würde mich … interessieren.«
    »Schon. Einmal, für einige Monate, als ich fünf oder sechs Jahre alt war. Aber daran kann ich mich fast gar nicht mehr erinnern. Ich weiß nur, dass ich wohl in keinem besonders guten Zustand zurück ins Waisenhaus kam … Daran erinnere ich mich allerdings sehr wohl: an den Tag, als ich zurück ins Waisenhaus kam. Auch wenn ich versuche, nie daran zu denken. Später war ich dann viel zu groß, als dass mich noch jemand gewollt hätte.«
    Suzanne tut so, als würde sie essen, stochert aber lustlos im Essen herum, bevor sie die nächste Frage stellt:
    »Und hast Du nie versucht herauszufinden, wer Deine Eltern sind?«
    »Doch, das versuchen eigentlich alle Findelkinder.
    Sobald ich volljährig war, beging ich den Fehler, Nachforschungen über meine Herkunft anzustellen. Das waren vermutlich meine ersten polizeilichen Ermittlungen.«
    »Und warum war das ein ›Fehler‹?«
    »Weil es manchmal besser ist, etwas nicht zu wissen.«
    In Suzannes Gesicht ist zu lesen, dass sie das nicht ganz versteht. Über Ts Gesicht wiederum huscht so etwas wie Ungeduld: »Schau mal, ich gebe Dir ein Beispiel: Stell Dir vor, Du stellst fest, dass Du die Tochter eines Kinderschänders bist, der eines seiner Opfer schwängerte …«
    Suzanne traut sich nicht, etwas zu sagen, und T versucht, die Stimmung wieder etwas aufzuhellen: »Um auf Deine Frage zurückzukommen, doch, ja, ich habe so etwas Ähnliches wie eine Familie … Ein älteres Ehepaar, mit denen ich an Weihnachten esse, die ich anrufe, wenn ich irgendwo gut angekommen bin und so weiter.«
    »Echt, ja?«
    »Ja … Er war so etwas wie mein Mentor. Er kommt dem wirklich am allernächsten, was ich mir an Vater vorstellen kann. Und seine Frau ist für mich mehr oder weniger wie eine liebe Tante. Sie haben keine Kinder, so dass, ähm … wir uns ein bisschen Eltern-Kind-Liebe schenken.«
    »Leben sie in Spanien?«
    »Ja, er ist Polizeikommissar … Hauptkommissar sogar, er ist der Leiter des Polizeipräsidiums, was heutzutage vor allem repräsentative Aufgaben mit sich bringt.
    Außerdem wird er dieses Jahr pensioniert. Er war derjenige, der mich ausgebildet hat, als ich in die Akademie kam, was mittlerweile etwa fünfundzwanzig Jahre her ist.«
    Der Kellner bringt die Hauptgerichte. Auf Ts Teller liegt ein Rippchen, das aussieht, als wäre es von einem Dinosaurier. Es wird auf einem riesigen Gral serviert und ist mit Bergen von verschiedenfarbigem Püree garniert.
    ***
    Am Donnerstagnachmittag, nach dem Essen, kommt T auf die Idee, ins Tiffany zu gehen, um sich etwas zu beschäftigen, bis Suzanne aus dem Institut kommt. Es ist natürlich noch nicht der richtige Zeitpunkt, um ihr Schmuck zu schenken, außerdem wäre es nicht gerade einfallsreich, eher kitschig, wie ein Tourist eine Kleinigkeit im Tiffany zu kaufen. Daher ist er nahezu erleichtert, dass ihm alles, was in den ersten Vitrinen liegt, ein wenig altmodisch vorkommt.
    Was kann man denn sonst noch machen bis um fünf?
    Die Faszination der Stadt hat sich in den letzten Tagen etwas verflüchtigt, ja sie ist fast ganz verflogen. Er ist nicht mehr der Adam der ersten Tage, der dieses eigenwillige, überraschend dicht bevölkerte Paradies erkundet und mit jedem Blick etwas Bedeutendes zu erhaschen meint. Jetzt steht alles eher in Relation zu etwas anderem: Vorher war die Stadt das Thema, jetzt ist sie nur noch Kulisse. Es hat sicher viel damit zu tun, dass Adam nun ein Leben mit Eva angefangen hat, denkt T, und dann ist die Welt mit einem Mal wieder so klein, wie sie es für den Großteil der Menschen immerzu ist. Im Zentrum dieses kleinen Universums stehen eigene Wünsche und Bedürfnisse, alles reduziert sich auf diese Nahperspektive, der Blick fokussiert nur noch auf das, was sich dicht vor der eigenen Nase abspielt, so dass eine Stadt und ihre Leute und ihr Rumoren daneben ganz klein werden und nur noch einen diffusen Hintergrund abgeben.
    Das ist es: Der tote

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