Im Namen Des Schweins
anvertraut. Jetzt bist Du erst mal dran, Dein Mysterium zu lüften.«
»Welches Mysterium denn …?«
»Ach, wahrscheinlich ist es besser, gar nicht erst darüber zu reden. Hast Du den Film von Alejandro Amenabar gesehen über die Geister, die nicht wissen, dass sie welche sind?«
»Wenn Du mich neugierig machen willst, könnte es passieren, dass ich Dir gleich ’ne Flasche über die Rübe ziehe …«
»Okay, dann aber auf Deine Verantwortung … Allerdings muss das Gläschen hier erst noch einmal präpariert werden. Ich hasse es, auf dem Trockenen zu sitzen und Reden zu schwingen.«
Suzanne macht ein ungeduldiges Gesicht. Sie sieht aus wie eine Verrückte, die ihre tadellos rund geschnittenen Fingernägel abknabbert … Vom Nagellack des Vortags fehlt jede Spur. Heute Nacht glänzen sie einfach nur.
***
Die Musiker legen mit einem besonders faden Bebop los, während der Kellner T etwas Whisky nachschenkt. Suzannes Southern-Comfort-Glas ist noch halbvoll. Als er weg ist, holt Suzanne zwei Zigaretten aus dem Päckchen, steckt T eine davon zwischen die Lippen und sagt: »Na los, nun erklär mir das mal genauer mit meinem phantasmagorischen Mysterium.«
T lässt sich ein paar Sekunden Zeit und stößt den Rauch aus.
»Du bist Dir ganz sicher, ja?«
Sie macht erneut ein Gesicht wie eine durchgedrehte Totschlägerin.
»Gut, gut …«
»Hast Du schon mal was von einem gewissen Giovanni Bellini gehört?«
Suzanne zieht die Augenbrauen hoch.
»Sagt mir im Moment gar nichts. Der berühmte Pastafabrikant?«, dabei sieht sie aus, als kämpfe sie mit verknoteten Spaghettis.
»Fast: ein Maler aus der Renaissance, Sohn und Bruder weiterer Bellinis, die ebenfalls berühmte Maler waren. Speziell dieser Giovanni war der erste Meister von Tizian und wurde als alter Mann dann dessen Schüler. Ein beispielloser Fall von Bescheidenheit. Hattest Du keine Kunstgeschichte in Deinem Studium? Er ist bekannt als der Vater der Venezianischen Schule …«
»Okay, ich werde meine Mitschriften in Kunstgeschichte noch mal sorgfältig daraufhin ansehen, und jetzt verrat mir bitte, was der sogenannte Vater der Venezianischen Schule mit mir zu tun haben soll.«
»Er hat sehr viel mit Dir zu tun, weil er 1510 Dein Portrait gemalt hat.«
»Er hat mein Portrait gemalt? Zu liebenswürdig …«
»Ein Portrait von Dir, von Deiner Wenigkeit.«
»Oh … Das sagst Du nun aber sicher jeder …«
»Madonna mit Kind vor einer Landschaft, Pinacoteca di Brera, 85 x 118 cm, Öl auf Holz, schau es Dir mal im Internet an. Dann siehst Du Dich mit einem etwa zweijährigen Jungen auf dem Schoß. Dein Gesicht ist ein bisschen voller, als hättest Du ein klein wenig zugenommen … Aber das ist ja auch nicht so erstaunlich.«
»Mhm … Ist ein Chelsea boy mit Rollerblades auch mit drauf?«
»Willst Du die Geschichte nun hören oder nicht?«
»Gut, gut. Aber verrate mir doch bitte zuerst mal, wieso Du Dich mit diesem Bild so gut auskennst:
Wieso hast Du denn die Maße, Daten und all das im Kopf?«
»Das ist doch das Mysterium. Es ist fast ein bisschen unheimlich. Als ich sechs, sieben Jahre alt war, habe ich mir das Bild ganz oft angeschaut, manchmal stundenlang. Es gab eine gerahmte Reproduktion, und der Titel und die anderen Angaben standen unten am Rand.
Ist das nicht ein wahnsinniger Zufall?«
»Mmm … ein mittelprächtiger Zufall.«
»Mittelprächtig? … Fünfhundert Jahre nachdem Bellini Dich gemalt hat, und fast vierzig Jahre nachdem ich Dich stundenlang auf einer Reproduktion angesehen habe, komme ich in diese Stadt, auf die andere Seite des Atlantiks, betrete ein Büro in der 42. und sehe Dich wieder.«
Pause. Die Musiker und ihr Bebop. Suzanne ist ernst geworden.
»Du übertreibst es garantiert mit der Ähnlichkeit …«
»Schau es Dir im Internet an, und dann reden wir weiter. Auf dem Bild ist dein Gesicht ein klein wenig voller, wie gesagt, und außerdem siehst du ernster aus als gewöhnlich, fast ein bisschen so, als wärest Du schlecht gelaunt gewesen. Als hättest Du Besseres zu tun gehabt, als für Bellini zu posieren. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber es sieht auch so aus, als wärest Du auf dem Bild ein klein wenig älter als jetzt, nicht viel … vielleicht ist die Differenz etwa die des Alters des Kindes.«
»Puh … so langsam wird es mir auch ein bisschen unheimlich …«
»Als ich Dich im Institut zum ersten Mal gesehen habe, schlug mir das Herz bis zum Hals …«
Suzanne schaut T stirnrunzelnd an.
»Sag mal, so
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