Im Namen des Sehers -: Soul Seeker 3 - Roman (German Edition)
den Schleier zustürmen kann, indem ich jedes Quäntchen Kraft aufbiete, das mir noch geblieben ist.
Hinter mir höre ich ihre Stimme – schrill und verzweifelt fleht sie mich an stehen zu bleiben.
Doch dafür ist es zu spät.
Schon springe ich los und stürme durch das Netz.
Woraufhin mich augenblicklich die Schwerkraft packt und auf die Erde zusausen lässt.
Verbrannte Opfergaben
Neun
Xotichl
N achdem auf mehrmaliges Klopfen an Palomas Haustür keine Reaktion erfolgt, gehen Lita und ich nach hinten, wo wir sie, über ein Beet mit sonderbaren Hybridpflanzen gebeugt, vorfinden, die immer wachsen, ganz gleich zu welcher Jahreszeit.
Ich recke das Kinn und sauge lange und gierig die Luft ein. Fülle meine Nase mit ihrem üppigen Duft, ehe ich sage: »Ich bin einen Tag zu früh dran, und ich habe jemanden mitgebracht.« Ich nicke in Litas Richtung. »Ich hoffe, das ist okay?« Ich stelle die Frage mehr aus Höflichkeit als aus echter Sorge, dass Paloma uns abweisen könnte. Sie hat uns gern um sich. Sie sieht uns als Verbindung zu Daire genau wie wir sie.
Sie greift nach dem Korb mit den nachtblühenden Heilkräutern und richtet sich mühsam auf. Die Szene läuft in einem unschönen, schlierigen Energiestrom vor mir ab, wobei ihre Fingerspitzen hell leuchten.
»Kommen Sie, lassen Sie mich das nehmen.« Lita eilt in einem Streifen vibrierendem Orange, das sich Palomas farblosem Grau zuneigt, an ihre Seite. Der Kontrast ist ein trauriger Hinweis darauf, wie schwach Paloma in nur wenigen Tagen geworden ist.
Auch wenn Daires Verschwinden uns allen schwer zugesetzt hat, ist Paloma, die sich nie mehr richtig erholt hat, nachdem sie ihre Seele zurückbekommen hatte, unbestritten am schwersten davon betroffen. Obwohl sie aus eigener Erfahrung weiß, welche Risiken das Dasein als Seeker birgt, macht sie sich selbst für den Verlust ihrer Enkelin verantwortlich. Und ganz egal, wie oft ich ihr auch sage, dass die Prophezeiung schon ins Rollen gekommen und nicht mehr aufzuhalten war, lindert das ihre Schuldgefühle im Grunde kein bisschen.
Lita nimmt den Korb und hilft Paloma zur Hintertür, während ich ihnen ins Haus folge. Wir passieren die Küche, wo aus dem Backofen der Duft von etwas Gesundem und Köstlichem wallt, gehen an dem behaglichen Knistern und Knacken des gemauerten Kamins vorüber und die Rampe zu ihrem Arbeitszimmer hinauf, wo sie uns an dem alten Holztisch Platz nehmen lässt, ehe sie in die Küche eilt, um einen Snack für uns zu holen.
»Daran könnte ich mich gewöhnen«, sagt Lita, als Paloma eine Tasse mit dampfendem Ingwertee und einen veganen Kardamom-Cupcake vor jede von uns hinstellt. »Was sagt ihr, morgen zur gleichen Zeit, der gleiche Snack?«
Wir lachen alle drei ein bisschen länger, als der Scherz es eigentlich verdient hat. Hungrig nach einer Entschuldigung, um unsere emotionale Last leichter zu machen.
»Wollen Sie nichts?«, fragt Lita, als sich Paloma zu uns setzt.
»Ich faste, bis sie wieder da ist«, sagt sie. »Das hier sind Daires Lieblingskuchen. Ich backe jeden Tag frische, damit welche da sind, wenn sie kommt.«
Lita verstummt und macht sich an Cupcake und Teetasse zu schaffen, während ich mich zu Paloma beuge. »Ich habe Lita mitgebracht, weil ich finde, es ist höchste Zeit, dass sie die Wahrheit über Enchantment erfährt, und ich dachte mir, Sie können es am besten erklären.«
Das leise Quietschen ihres Fingers, mit dem sie unablässig um den Rand ihrer Tasse fährt, verrät mir, dass ich mein Anliegen besser verpacken muss.
»Seit Daire vermisst wird …« Ich halte inne, um mich zu sammeln, ehe ich fortfahre. Ganz egal, wie oft ich es auch sage, es wird nicht einfacher. »Es gibt keinen anderen Seeker, der sie ersetzen könnte. Was bedeutet, dass wir alle zusammenhelfen müssen. Aber wir können uns nicht gegenseitig beschützen, solange manche von uns gar nicht wissen, wovor sie beschützt werden müssen.«
Paloma schweigt so lange, dass ich schon zu betteln anfangen will, doch dann hebt sie zu sprechen an. »Da hast du wahrscheinlich recht.« Ihre Stimme klingt resigniert, passend zu ihrer geschwächten Energie. »Also, wo soll ich anfangen?«
»Wie wär’s mit dem Anfang?«, fragt Lita. »Ich habe das Gefühl, die Geschichte dieser Stadt ist ganz anders, als man uns in der Schule erzählt hat.«
Paloma nickt zustimmend, setzt sich auf ihrem Stuhl zurecht und erzählt eine Geschichte, die so befremdlich ist, dass ich Litas Energie genau überwache, um
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