Im Namen des Sehers -: Soul Seeker 3 - Roman (German Edition)
japanischen Mythen kommen sie vor; dort heißen sie Dokufu. Den Mythen zufolge wird eine Frau schon in der Kindheit ausgewählt und bekommt dann regelmäßig kleine Dosen des Gifts, um eine Toleranz dagegen zu entwickeln. Mit der Zeit werden ihre Körperflüssigkeiten so vergiftet, dass jeder Körperkontakt mit ihr extrem gefährlich, wenn nicht tödlich wird.«
»Aber das kann doch Oleander sicher nicht bewirken – sind das nicht die beliebtesten Sträucher bei der Bepflanzung zwischen den Freeways rund um L. A.?«
»Oleander ist hochgiftig«, wirft Chepi ein, schlingt einen Arm um Dace und zieht ihn an sich. »Es ist eine der giftigsten verbreiteten Gartenpflanzen. Wenn man den Nektar aus der Blüte isst oder die Blätter kaut, kann das tödlich enden.«
»Und wenn man ihn verbrennt, gibt er hochgiftige Gase ab, die die Sehkraft beeinträchtigen und Schwindelgefühle und Schlimmeres auslösen können«, fügt Leftfoot hinzu.
Dace und ich wechseln einen Blick. Unsere Schwindelgefühle und die Sehstörungen zusammen mit Phyres bizarrer Faszination über ihren Speichel und wie ihr Atem abwechselnd das Feuer hat auflodern und klein werden lassen – es passt alles zusammen.
Das muss es sein.
Phyre Oleander Youngblood ist eine Giftfrau.
»Ihr Vater ist doch dieser verrückte Schlangenbeschwörer und Prophet«, meint Dace. »Ihr wisst schon, Suriel Youngblood. Der früher mal im Reservat gelebt hat und dem alle immer lieber aus dem Weg gegangen sind? Der mit den Klapperschlangen herumhantiert hat, um zu beweisen, dass er einer der Gerechten ist? Er hat immer behauptet, Gott würde nie zulassen, dass er gebissen wird – und sollte er doch gebissen werden, dann nur, um den Ungläubigen dadurch seine Macht zu beweisen, dass er sofort wieder geheilt wäre.«
»Der, der den Mädchennamen seiner Frau angenommen hat?« Chepi verzieht missbilligend das Gesicht.
»Dann glaubst du also, er hat ihr von frühester Kindheit an eine Mischung aus Klapperschlangengift und Oleandersaft eingeflößt statt der pürierten Bananen und Karotten, die wir anderen als Babys bekommen haben?«, frage ich und blicke zwischen den Stammesältesten hin und her, ehe ich mich wieder auf Dace konzentriere.
»Schon möglich«, sagt Leftfoot. »Aber wenn sie zeit ihres Lebens destillierten Oleanderextrakt zu sich genommen hat, dann genügt das schon, um jedem massiven Schaden zuzufügen, der mit ihr intim wird. Das Schlangengift wäre dann schon fast der Overkill. Aber ich weiß nicht, ob das überhaupt eine Rolle spielt. Jedenfalls ist Phyre giftig, da bin ich mir sicher.«
Ich denke daran zurück, wie sie vor Cades Haus gewartet und sich gezielt die Lippen befeuchtet hat, ehe sie Anstalten machte, ihn zu küssen – und bin überzeugt davon, dass Leftfoot recht hat. Oder zumindest so lange, bis mir Phyres intime Vergangenheit mit Dace wieder einfällt und die Theorie schnell in sich zusammenfällt.
Ich wende mich zu Dace um, denn ich muss ihm eine unangenehme Frage stellen, auch wenn ich es noch so ungern tue. »Hast du dich irgendwie seltsam gefühlt, nachdem ihr miteinander geschlafen habt?«, erkundige ich mich und stelle erstaunt fest, dass ich offenbar die Einzige bin, die über ihre Geschichte Bescheid weiß.
Chepi zuckt zusammen und starrt ungläubig auf ihren Sohn, während Dace den Blick senkt und den abgenutzten Fliesenfußboden studiert.
Auch wenn es mir leidtut, dass ich sie alle in Verlegenheit gebracht habe, noch dazu ausgerechnet jetzt, ich muss der Sache auf den Grund gehen. Muss diese beängstigende neue Theorie, die mir gerade in den Sinn gekommen ist, entweder beweisen oder widerlegen.
»Hört mal«, sage ich. »Ich weiß, es ist eine heikle Angelegenheit, aber ich finde, mittlerweile sollten wir alle über Verlegenheitsgefühle hinaus sein. Tatsache ist jedenfalls, dass Dace mit Phyre zusammen war, wenn auch noch so kurz, und ich muss wissen, ob …«
»Nein.« Dace sieht mich aus seinen eisblauen Augen an. »Ich habe keine negativen Folgen verspürt, abgesehen von anhaltender Reue.«
Ich verziehe den Mund und versuche, seine Aussage zu verarbeiten. Doch dann fällt mir etwas ein, was Phyre gesagt hat.
»Allerdings habe ich den Namen erst bekommen, als ich sechzehn war. Da wurde mein Schicksal besiegelt.«
Wahrscheinlich wurde sie auch erst in diesem Jahr giftig.
Im selben Jahr, in dem sie wieder nach Enchantment gezogen ist.
Im selben Jahr, in dem Suriel ihr befohlen hat, ihre Bestimmung zu erfüllen, indem sie
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