Im Namen des Sehers -: Soul Seeker 3 - Roman (German Edition)

angenehm an, doch sie kann mir nicht den gewünschten Trost liefern. »Deine Reaktion war völlig normal und verständlich. Dein Vater hat das Gleiche getan.«
    Ich tue seine Worte mit einem trotzigen Kopfschütteln ab. So leicht lasse ich mich nicht abspeisen. Wenn ich aus meinen Fehlern lernen will, muss ich mich ihnen erst stellen und mich nicht hinter einem Bündel bequemer Ausreden verstecken.
    »Paloma hat sich nicht dagegen aufgelehnt. Sie hat ihr Schicksal von Beginn an angenommen. Ich habe alles gesehen. Sie hat eine Verwandtschaftsübertragung bei mir vorgenommen. Ihre gesamte Lebensreise mit mir geteilt. Es war verblüffend. Beeindruckend. Ich war echt überwältigt davon, wie viele persönliche Opfer sie zugunsten des Allgemeinwohls gebracht hat …« Mir versagt die Stimme, und ich brauche einen Moment, ehe ich fortfahren kann. »In ihrem Leben hat es so viele Härten und Verluste gegeben, und ich …« Doch ehe ich zu Ende sprechen kann, fällt mir Chay ins Wort.
    »In jedem Leben gibt es Härten, Daire. Das liegt in der Natur der Sache. Jede Schwierigkeit, jeder Kampf dient als Wegweiser, der uns zu der ultimativen Wahrheit führt, dass keiner von uns allein dasteht. Es gibt kein wir gegen sie . Es gibt nur ein Wir . Wir sind ebenso mit dieser Erde verbunden wie miteinander. Aber für die meisten beginnt die Reise zur Erleuchtung mit Verzweiflung. Der Moment, in dem wir in die Knie gehen und keine andere Wahl haben, als zuzugeben, dass die alten Methoden nicht mehr funktionieren, dient als Portal zu größerem Verständnis. Paloma war sich der Gefahren ihrer Position immer bewusst. Sie war durch ihre Mutter, die Suchende vor ihr, gut vorbereitet worden. Sie hat immer gewusst, dass große Privilegien mit großer Verantwortung einhergehen. Sie hat sich nie lange mit ihren Tragödien aufgehalten. Genau wie sie sich auch nicht mit ihren Triumphen brüstet. Sie bleibt gefasst, demütig und präsent. Hat immer mit einem Auge den Horizont im Blick. Und ich glaube, ich sage nichts Falsches, wenn ich behaupte, dass sie sich das Gleiche von dir wünscht.« Er drückt beruhigend meine Finger. Das kühle Silberband seines Geisttierrings presst sich in meine Haut. »Sie ist stärker, als du glaubst. Ich wette, sie hat bald alles gut überstanden. Sie ist nur momentan nicht ganz auf der Höhe, weiter nichts.«
    »Paloma ist immer auf der Höhe.« Ich ziehe meine Hand unter seiner heraus und kipple mit dem Stuhl nach hinten. Dann lasse ich den Blick schweifen und suche Trost in den tief in die Wand eingelassenen Nischen, in denen alle möglichen Kreuze, Fetische, handgeschnitzte Santos und andere wirkmächtige sakrale Gegenstände stehen, die Dace immer als »die Werkzeuge der Lichtarbeiterbranche« bezeichnet. »Sie ist immun gegen Krankheiten wie Erkältung und Grippe. Sie wird nur krank, wenn sie irgendwie angeschlagen ist. Und das bedeutet, dass es einen Grund dafür geben muss. Ist ihre Seele noch intakt? Cade hat es doch nicht geschafft, sie noch einmal zu rauben, oder?« Ich drehe mich wieder zu Chay um und sehe erleichtert, dass er mit heftigem Kopfschütteln verneint. »Hm, vielleicht ist ja dann Wolf …« Meine Stimme verstummt, während ich versuche, den Gedanken zu durchdringen, der mir gerade in den Sinn gekommen ist.
    Chay schaut mir nach, während ich mich vom Tisch entferne und durchs Zimmer spaziere. Vor der Nische mit dem schönen, aus einem einzigen, glänzend weißen Stein gemeißelten Wolfsfetisch bleibe ich stehen.
    »Die ganze letzte Woche, bis heute, befand sich die Unterwelt in einem frostigen Zustand, der sämtliche Geisttiere in einen Winterschlaf gezwungen hat, weshalb sie uns nicht leiten konnten. Also glaube ich, dass Paloma vielleicht durch Wolfs Abwesenheit beeinträchtigt worden ist.« Ich nehme den Stein in die Hand, überrascht von seinem Gewicht und seiner Wärme, während sich Chay zurücklehnt und eine Weile über meine Worte nachdenkt.
    »Daire, ich weiß nicht genau, ob Wolfs mangelnde Präsenz daran schuld ist, aber ich kann sagen, dass die letzte Woche ohne dich ihren Tribut gefordert hat. Im Bemühen, deine Rückkehr zu beschleunigen, hat Paloma mit strengem Fasten und Beten begonnen – genau wie Chepi und Leftfoot –, während ich damit beschäftigt war, die Stellung zu halten. Bestimmt hat das Fasten sie etwas geschwächt. Aber ich bin mir auch sicher, dass es jetzt, wo du wieder da bist, mit ihr aufwärts geht. Doch vergiss nicht, du bist gerade erst zurückgekommen.