Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Namen Ihrer Majestät

Im Namen Ihrer Majestät

Titel: Im Namen Ihrer Majestät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
Felsbrocken, auf denen sie sich nur von Absatz zu Absatz springend weiterbewegen konnten. Dadurch hinkte Carl noch mehr hinterher, und Sascha zeigte immer deutlicher seine Irritation. Schließlich winkte Carl seinem Vordermann zu, er solle stehenbleiben, weil er ihm etwas sagen wolle. Als er keuchend und verschwitzt den ungeduldigen russischen Jäger einholte, knöpfte er sein Hemd auf und zog es zur Seite.
    »Ich habe neulich drei Schüsse abbekommen«, sagte er langsam. »Wie du siehst, mein Freund, sind die Narben frisch. Der dritte Schuß sitzt im linken Oberschenkel.«
    Carl knöpfte das Hemd wieder zu, Saschas ernste Wolfsaugen verrieten keinerlei Reaktion.
    »Na schön, dann gehen wir langsamer. Aber dann besteht die Gefahr, daß sie verschwunden sind, wenn wir ankommen«, sagte er. Dann drehte er sich auf der Stelle um und ging nur unbedeutend langsamer als zuvor weiter.
    Schließlich blieb Sascha an einigen großen Felsbrocken stehen und wartete; als Carl ihn einholte, sagte Sascha, hier kämen sie nicht weiter. Hinter diesem Felsen gebe es keinen Sichtschutz, und die Herde dort unten werde sie entdecken. Steinböcke hätten Augen wie Greifvögel. Hingegen könnten sie zwischen den Felsblöcken hinaufklettern und von dort die Tiere beobachten. Näher würden sie nicht an sie herankommen. Nach wenigen Minuten fanden sie zwischen den mächtigen, moosbewachsenen grauen Urzeitfelsen eine kleine Höhle, vor der sie sich platt auf den Bauch legen und die Steinböcke betrachten konnten. Die Tiere witterten keine Gefahr. Einige lagen wiederkäuend auf der Erde, andere standen vollkommen still, als posierten sie für eine Touristenbroschüre, und wieder andere weideten zwischen Felsspalten, was immer sie dort zu fressen fanden.
    Carl genoß den Anblick. Es war wie ein Naturfilm in der Realität. Er bat Sascha zu erklären, welchen Rang die verschiedenen Tiere hätten. Schließlich zeigte Sascha auf den Bock, den sie hätten schießen sollen, wenn sie näher hätten herankommen können. Das Tier sah aus wie ein älterer Mann mit Bart und kleinen braunen Augen.
    Sascha erklärte, es sei das älteste und schönste Tier mit den längsten und kräftigsten Hörnern und sei vermutlich das Leittier der Herde.
    Carl betrachtete den alten Bock durch seinen Feldstecher. Er bat Sascha, ihm das große Fernglas zu geben, und bekam das Tier damit so stark vergrößert vor die Augen, daß er sich fragte, was sich wohl hinter den großen braunen Augen abspielte. Er hätte zu gern gewußt, was dieser Bock, dem der Tod so gefährlich nahe gekommen war, im Augenblick dachte.
    »Soll ich ihn erlegen?« fragte Carl zögernd.
    »Nein, o nein, er ist viel zu weit weg, mindestens vierhundert Meter«, schnaubte Sascha irritiert.
    »Nein, es sind dreihunderteinundzwanzig Meter. Technisch gesehen ist das keine Schwierigkeit«, wandte Carl ein und bereute seine Worte sofort. Er hätte sehr wohl zu den anderen zurückkehren können, ohne einen Steinbock ermordet zu haben, da Sascha mit seiner Autorität hätte erklären können, daß es unmöglich gewesen sei.
    »Woher willst du wissen, daß es dreihunderteinundzwanzig Meter sind und nicht dreihundertzwanzig?« fragte Sascha mißtrauisch.
    Carl zeigte nur auf sein Fernglas, erklärte, wie es funktionierte, und reichte es Sascha.
    Sascha maß die Entfernung zu dem liegenden Steinbock, stellte fest, daß der Entfernungsmesser dreihunderteinundzwanzig Meter angab, und fragte, ob es tatsächlich wahr sei. Dabei zeigte er mit keiner Miene Erstaunen oder Bewunderung.
    »Ja, es stimmt«, bestätigte Carl.
    »Dreihunderteinundzwanzig Meter sind aber doch eine ziemliche Entfernung zum Schießen. Außerdem wendet uns der Bock den Rücken zu. Das ist eine schwierige Position«, wandte Sascha ein.
    Carl rang mit sich. Er sah ein, daß es keine Umkehr gab. Er befand sich in Sibirien und hatte vorgegeben, in Sibirien auf die Jagd gehen zu wollen. Früher oder später mußte er ohnehin eines dieser Tiere dort unten töten. Dann war es besser, wenn er das Unangenehme gleich hinter sich brachte.
    »Ich schieße gut. Ich kann es gleich tun«, sagte er kalt.
    »Na schön. Dann tu es. Es ist ein sehr schöner Bock«, sagte Sascha und rückte ein Stück zur Seite, um Carl mehr Spielraum zu geben.
    Carl betrachtete den Steinbock durch das große Fernglas und hoffte, bei dem Tier irgendwelche Anzeichen von Unruhe zu entdecken.
    Der Bock blieb jedoch ruhig liegen und wollte scheinbar nichts anderes, als die Sonne und

Weitere Kostenlose Bücher