Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Namen Ihrer Majestät

Im Namen Ihrer Majestät

Titel: Im Namen Ihrer Majestät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
die Ruhe genießen.
    Carl zog seine Jacke zu sich heran, die er sich um die Taille geschlungen hatte, breitete sie als Stütze auf dem Boden aus und legte dann sein Gewehr darauf. Er plazierte es sicher, und drehte das Zielfernrohr auf zwölffache Vergrößerung.
    Er bewegte das Fadenkreuz ein paar Mal vorsichtig über das Ziel, änderte dann die Körperhaltung und korrigierte die Lage der Waffe. Sascha beobachtete ihn interessiert und gespannt, jedoch wortlos und ohne eine Miene zu verziehen.
    Carl legte das Fadenkreuz zur Probe auf den Hals des Bocks und hob die Waffe gut zehn Zentimeter, um die einhunderteinundzwanzig Meter auszugleichen, welche die Eichung des Zielfernrohrs überschritten. Doch da drehte der Bock den Kopf und blickte direkt nach vorn. Carl verschob den Richtpunkt automatisch auf den Rücken des Tieres, so daß die Kugel das Rückgrat durchschlagen und dann schräg in den Thorax eindringen würde.
    Er schob die Sicherung hinauf und schloß behutsam den Zeigefinger um den Auslöser. Wenn er jetzt schoß, würde er treffen. Rückgrat und Herz. Der Tod würde auf der Stelle eintreten.
    Er wollte es jedoch nicht. Er hatte keinen Grund dazu. Der Bock würde nur wegen etwas sterben, womit er nicht das geringste zu tun hatte. Es wäre Mord.
    Carl senkte den Kopf und atmete ein paarmal heftig aus und ein, um mehr Sauerstoff in den Körper zu bekommen und um möglicherweise klarer denken zu können. Dann legte er das Fadenkreuz erneut auf den Punkt, der den Tod bedeutete. Er begann zuüberlegen, wie er es erklären sollte; ob mit dem Schwierigkeitsgrad des Schußwinkels, den Sascha selbst beobachtet hatte, oder mit der offensichtlich großen Entfernung, die dennoch nicht zu groß war, um einen Menschen erschießen zu können.
    Der Bock wandte erneut den Kopf, und Carl sah dessen Gesicht, den Bart und die kluge Miene. Die Ähnlichkeit mit einem Menschen funktionierte.
    Dann drückte er weich ab und schaffte es noch, durch das Zielfernrohr den Aufschlag zu sehen, bevor der kräftige Rückstoß ihn nach hinten schleuderte.
    Der Bock lag noch an derselben Stelle und trat wild mit den Hinterläufen, genau wie ein Mensch, der im zentralen Nervensystem getroffen worden ist, wie Carl feststellte. Das Rückgrat ist durchschlagen, und damit ist der Tod schon jetzt eine Tatsache. Der gleiche Schuß wie bei Olof Palme.
    Die ganze Herde war alarmiert worden. Die Tiere, die gelegen hatten, waren jetzt aufgesprungen, gingen ein paar Schritte und sahen sich um. Doch da ihr Leittier keine Initiative ergriff, blieben sie verwirrt stehen, ohne zu wissen, in welche Richtung sie flüchten sollten.
    »Du kannst noch einen schießen. Nimm den dritten von links!« flüsterte Sascha eifrig.
    »War der nicht der Schönste?« fragte Carl traurig.
    »O ja, aber der zweitschönste steht jetzt genau im Profil da. Ein perfektes Profil, der dritte von links«, fuhr Sascha fort.
    »Nein danke«, entgegnete Carl. Er ließ die leere Hülse herausspringen, die klirrend zwischen die Felsbrocken fiel, und drückte die darunterliegende Patrone mit dem Daumen herunter und verschloß das Schlußstück. Dann erhob er sich und begann, zu seinem Opfer hinunterzugehen. Sascha folgte ihm zögernd.
    Als die Tiere Carl hervortreten sahen, flüchteten sie endlich. Sie liefen zunächst unorganisiert los, bis plötzlich ein neues Leittier da war und alle in einem geordneten Manöver den Berghang hinaufkletterten. Nach nur wenigen Minuten hatten sie auf diese anscheinend mühelose Weise eine ebenso große Entfernung zurückgelegt, wie Carl keuchend, ächzend und vor Schmerz grimassierend in einer halben Stunde geschafft hatte. Es ist nicht gerecht, war der Gedanke, der ihn durchzuckte. Es ist nicht gerecht, daß ich ihr Leittier so getötet habe.
    Die anderen Männer des Trupps hatten den Schuß gehört, dessen Echo zwischen den Berghängen widerhallte. Valerja erkannte den Treffer am Klang; eine Kugel, die mit einer Geschwindigkeit von etwa tausend Metern pro Sekunde auf einen Körper trifft, gibt beim Aufprall meist ein kräftiges Geräusch von sich, egal, ob der Treffer in einem Menschen sitzt oder einem Tier.
    Sie nahmen die beiden unbeladenen Pferde in einem weiten Bogen mit, um möglichst nahe an den Schußplatz heranzukommen.
    Der Steinbock lag vollkommen still, als Carl ihn erreichte. Mitten auf dem Rücken war in dem hellgrauen Pelz ein kleiner roter Fleck zu sehen, aber unter dem Körper floß ein dicker dunkler Strom von Blut dahin. Mageninhalt

Weitere Kostenlose Bücher