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Im Namen Ihrer Majestät

Im Namen Ihrer Majestät

Titel: Im Namen Ihrer Majestät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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und Lungenreste waren als weiße kleine Fragmente zu erkennen.
    Carl ging instinktiv zum Kopf des Bocks, hob diesen hoch und versuchte, in die noch immer vollkommen klaren Augen zu blicken. Er hielt den Kopf vorsichtig mit beiden Händen und versuchte etwas zu sagen. Doch da holte Sascha ihn ein und ließ sofort einen entzückten Ausruf hören, die einzige Gefühlsregung, die er bisher gezeigt hatte. Da verlor Carl den Faden. Er wußte nicht, was er dem Bock hatte sagen wollen.
    Sascha kommentierte das Ergebnis. Er maß die Länge der Hörner, indem er berechnete, wie viele Handbreit sie lang waren, und kam zu dem Ergebnis, daß es vielleicht hundertzehn Zentimeter sein mochten. Dann streckte er mit einem Lächeln die Hand aus, um zu gratulieren. Carl nahm die Hand und versuchte nach Kräften zu lächeln, doch in diesem Moment kehrten seine Schmerzen zurück. Seit dem Augenblick, in dem er sich hingelegt und das Gewehr ergriffen hatte, hatte er nicht mehr an sie gedacht.
    Die anderen konnten bis auf weniger als hundert Meter heranreiten und näherten sich von unten. Als sie den Mordplatz erreichten und die Länge der Hörner, das Alter des Bocks, aber vor allem den Aufschlagwinkel der Kugel und den Punkt des Treffers begutachten konnten, brachen sie unisono in eine Tirade begeisterter Glückwünsche aus, die für Carl kaum erträglich war, obwohl er sich immer noch bemühte, sein starres Lächeln aufrechtzuerhalten.
    Jurij Tschiwartschew glühte vor Enthusiasmus. Vor allem kam er immer wieder auf den phänomenalen Schuß zu sprechen. Niemand, den er kenne, hätte so schießen können. Die meisten hätten geduldig gewartet, bis der Bock sich erhob und seine Breitseite darbot, um die Kugel durch die Lungen zu bekommen. Es sei sehr kaltblütig gewesen, aufs Rückgrat zu zielen, sehr kaltblütig.
    Carl wandte ein, im Grunde gehe es nur um Anatomie. Wenn man das Rückgrat durchschlägt, so daß die Kugel, Splitter und Knochenfragmente durch Herz und Lungen gepreßt werden, gibt es keine Rettung mehr.
    Den folgenden Worten entnahm Carl, was geschehen wäre, wenn er das Rückgrat verfehlt hätte. Dann hätte sich dieser Steinbock ganz und gar nicht wie ein Mensch verhalten. Er wäre nicht gehorsam an Ort und Stelle gestorben, sondern wäre zwei Kilometer über einen Bergrücken gelaufen und verschwunden, um anschließend zu Wolfsfutter zu werden. Die anderen behaupteten, daß das Ganze nur an einigen Zentimetern hänge.
    Sascha und Valerja zogen ihre großen Messer mit den breiten Klingen und enthäuteten, zerstückelten und enthaupteten den Bock mit geübten Bewegungen. Sie stopften soviel Fleisch in die schwarzen Satteltaschen aus dünnem Leder, daß fast alle Luft herausgepreßt wurde, als sie die Lederriemen zuzogen. Dann trugen sie die Taschen und die eigentliche Trophäe, den Kopf mit dem immer noch klugen, nachdenklichen Blick, zu den Pferden hinunter. Sie ermahnten ihre Begleiter, gleich aufzusitzen, da sie noch einen weiten Weg zum Lager hätten. Das Wetter mache den Eindruck, als werde es bald umschlagen.
    Sie ritten zwanzig Minuten einen Hang mit niedrigem Grasbewuchs und halbvertrockneten Blumen hinauf. In der Ferne sahen sie einen Bären, der mit seinen kräftigen Tatzen Wurzeln ausgrub.
    Sie hatten noch zwei Täler vor sich und würden erst nach Einbruch der Dunkelheit im Lager eintreffen. Da Vollmond sei, werde es jedoch keine Probleme geben, meinten sie.
    Doch in der Ferne hinter der schneebedeckten Formation von Berggipfeln erhob sich ein Schneesturm wie ein Riese, den man aus dem Schlaf geweckt hatte. Er tobte, stieg in den Himmel und stürzte sich dann hinunter. Er war noch mehrere Kilometer entfernt, aber sie sahen, wie Sturm und Schnee ihnen auf dem Abhang vor ihnen entgegenrollten.
    Sascha zog bei seinem Pferd die Zügel an und zwang es, ein paar Schritt zurückzugehen, bis er zu Carl aufschloß. Er blieb eine Zeitlang stumm sitzen und betrachtete den näher kommenden Schneesturm, ohne etwas zu sagen. Alle anderen hatten ihre Pferde ebenfalls zum Stehen gebracht und sahen mit unterschiedlichem Erschrecken, wie der Tod sich ihnen entgegenwälzte.
    Schließlich wandte sich Sascha an Carl.
    »Es wird eine harte Nacht geben. Eine sehr harte Nacht«, sagte er. Dann riß er sein Pferd herum und gab den anderen ein Zeichen, ihm zu folgen.
    Sie befanden sich in offenem Gelände, genau dort, wo sie sich nicht befinden durften. Sie trieben ihre Pferde nach Kräften an, soweit sie es in dem Dämmerlicht wagen

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