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Im Namen Ihrer Majestät

Im Namen Ihrer Majestät

Titel: Im Namen Ihrer Majestät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Carl.
    Von diesem Augenblick an sprachen sie nur noch über Politik.
    Sie hatten keinen langen Ritt vor sich. Schon bei ihrem Aufbruch war es später Nachmittag gewesen. Ihr angeblicher Plan bestand darin, zunächst nur in die Region zu kommen, in der die Hirsche vermutet wurden. Dann wollten sie für die Nacht ihr Lager aufschlagen und sich in den frühen Morgenstunden im Licht der ersten Dämmerung der Jagd widmen. Den Rest des Tages wollten sie das Gelände erkunden. Wenn es am ersten Tag nicht klappte, wollten sie sich ein paar Tage im selben Gebiet aufhalten.
    Sie waren bergab geritten. Die an die Alpen erinnernde Berglandschaft, die hinter ihnen lag, veränderte sich und ähnelte immer mehr den langgestreckten weichen Bergen des nördlichen Skandinavien. Sie waren teilweise mit Lärchen oder Tannen bewachsen. In den Talsenken standen Zwergbirken. In dem dichten Birkengestrüpp, das manchmal quadratkilometergroße Teppiche bildete, sah man deutlich die Pfade des Wildwechsels.
    Sie schlugen ihr Lager in möglichst großer Höhe auf, um einen guten Überblick über die Landschaft zu haben. Sie hatten einige Felsformationen gefunden, die an die natürlichen Skulpturen erinnerten, wie sie der Wind in Arizona oder auf Gotland erschaffen hat.
    Die Steinblöcke würden sie schützen, falls ein neuer Schneesturm sie überraschte. Da in dieser Region immer noch vereinzelt Bäume wuchsen, konnten sie sich einen einfachen Windschutz bauen und Feuer machen.
    Sie holten ihren Proviant hervor, der wie gewöhnlich aus Steinbockfleisch bestand. Carl schnitt es in Würfel und spießte es auf Stöckchen auf, die er vor dem Feuer in die Erde bohrte. Dazu gab es geräucherte Sprotten aus Konservendosen, grobes Weißbrot, konzentrierte Kondensmilch, die dickflüssig aus der Dose floß, und Tee.
    Die Dämmerung brach schnell herein, und bald gab es nichts mehr zu sehen. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu essen und miteinander zu sprechen.
    Carl hatte sich entschlossen, zunächst herauszufinden, was Jurij Tschiwartschew wollte, falls er mehr wollte, als nur gebildete Gespräche zu führen. Zunächst sprachen sie über Ökonomie, genauer, die Schocktherapie für die russische Wirtschaft. Jurij Tschiwartschew sprach an, ob all das wirklich seriös sei, ob es überhaupt so etwas wie eine Schocktherapie gebe und ob es empirische Belege für den Erfolg solcher Methoden gebe. Carl erwiderte vorsichtig, soviel er wisse, sei das ein neues Wort, eine ziemlich schwammige und verdächtige Idee, die von den dogmatischsten rechten Politikern der westlichen Welt stamme. Seines Wissens gehe es dabei mehr um Psychologie als um ökonomische Wissenschaft. Zumindest entstehe dieser Eindruck, wenn man den Versuch mache, den Ursprung dieser Ideen zu analysieren.
    Sie seien auf den Sieg der westlichen Welt im Kalten Krieg zurückzuführen. Man habe die Sowjetunion zu Tode gerüstet. Und als Gorbatschow es irgendwann eingesehen habe, habe er eine Hand ausgestreckt und erleben müssen, daß der ganze Arm aufgefressen wurde. Mit der Auflösung des sowjetischen Imperiums, dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts und dem Fall der Berliner Mauer hätten die rechtsgerichteten Kräfte im Westen den Eindruck gewonnen, daß dieser Sieg mehr zeige als die Unterlegenheit der russischen Planwirtschaft. Sie habe, so Carl, nämlich auch erwiesen, daß derjenige, der ganz weit rechts stehe, auch am meisten Recht habe. Der Fall der Berliner Mauer war als Beweis dafür angeführt worden, daß die Konservativen the good guys , Sozialdemokraten, Grüne und ähnlich Denkende the bad guys waren, da man meinte, sie irgendwie mit dem Bau der Berliner Mauer in Verbindung bringen zu können.
    Das war nicht sonderlich logisch. Deutsche Sozialdemokraten waren genausowenig Anhänger der Berliner Mauer gewesen wie schwedische Sozialdemokraten Fans des GULAG oder der sowjetischen Kommandowirtschaft – ja, so heiße das neuerdings, Kommandowirtschaft, nicht Planwirtschaft. Doch diese rechte Welle hatte sicher mehr mit Psychologie und einem Siegesrausch als mit Vernunft zu tun.
    Erst danach hatten die selbsternannten Sieger eine Art Verantwortung auf sich genommen. Sie wollten ihre Dogmen nicht nur an den eigenen Ländern ausprobieren, wo sie für alle reichen Menschen die Steuern senkten, damit es damit den Armen besser gehen konnte, sondern hatten auch darin gewetteifert, die neuen Staaten Osteuropas mit Zuckerbrot und Peitsche dazu zu bringen, sich als Versuchskaninchen für

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