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Im Namen Ihrer Majestät

Im Namen Ihrer Majestät

Titel: Im Namen Ihrer Majestät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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den instant capitalism zur Verfügung zu stellen. In diesem Zusammenhang war das Wort Schocktherapie entstanden. Der Grundgedanke war wohl, daß die Umwandlung um so schneller vonstatten ging, je schneller man damit verfuhr.
    Bis dahin hatte Carl nur zu referieren versucht, ohne irgendwelche persönlichen Standpunkte zu äußern.
    Jurij Tschiwartschew hatte weder durch Mienenspiel noch Formulierungen auch nur angedeutet, wo er selbst stand, abgesehen vielleicht von der Selbstverständlichkeit, daß die Lage so gut wie verzweifelt war; kompliziert und gefährlich, wie er es vermutlich ausgedrückt hätte.
    »Wie beurteilt ihr diese Entwicklung, liebe Kollegen beim schwedischen Nachrichtendienst?« fragte er leise und stocherte in dem Gluthaufen vor seinen Füßen herum.
    Carl antwortete nicht gleich, sondern versuchte Zeit zu gewinnen. Er inspizierte die Grillspieße und reichte Jurij Tschiwartschew einen davon. Wenn er die ihm soeben gestellte Frage beantwortete, wäre es im Sinn des Gesetzes Spionage. Andererseits hatte seine Regierung ihm empfohlen, sehr weit zu gehen, um bei der Operation Striped Dragon Erfolg zu haben, und genau hier und jetzt stand die Entscheidung bevor. Überdies würden weder die schwedische Sicherheitspolizei noch ein schwedisches Gericht je von diesem Gespräch in Sibirien Kenntnis erhalten.
    »Du sollst eine aufrichtige Antwort bekommen«, begann Carl mit einer ironischen Grimasse über die russische Formulierung, die im Grunde bedeutete, daß man gelogen und Streit gesucht hatte. Dann biß er ein Stück von seinem Grillspieß ab, um noch etwas darüber nachzudenken, wie er seinen Landesverrat präziser formulieren konnte.
    »Die militärische raswedka, deren stellvertretender Chef ich jetzt bin, nimmt eine Analyse vor, während der Stab des Ministerpräsidenten eine völlig andere Analyse macht«, begann er entschlossen. »Laß mich mit dem anfangen, was wir bei der raswedka glauben: In Ländern wie Polen und vor allem Tschechien ist es gelungen, Schritt für Schritt eine vorsichtige Umstellung auf das westliche System vorzunehmen. Dort hat man eine stabile politische Führung beibehalten, ein relativ demokratisches Entscheidungssystem. Produktion und Beschäftigung laufen ohne Schocktherapie. Somit ist den Leuten dort auch die Gangsterherrschaft erspart geblieben. Doch in Rußland verhält es sich völlig anders. Rußland hat in kurzer Zeit die Voraussetzungen für eine Aufrechterhaltung seines Produktionsniveaus beseitigt. Wir haben allein für dieses Jahr eine Produktionsminderung von mehr als fünfundzwanzig Prozent errechnet. Rußland hat zudem keine Führung, sondern einen diktatorischen und in seinen Entscheidungen schwankenden Präsidenten, der an einem Tag dieses und an einem anderen jenes dekretiert und außerdem dabei ist, seine Gegensätze zum Parlament weiter zu verstärken, so daß die Situation schon heute gefährlich ist und schlimmstenfalls sogar in Kriegshandlungen enden kann. Das Ergebnis der allgemeinen Wahlen, die im Herbst abgehalten werden sollen, läßt sich nur schwer vorhersehen, aber wir sind pessimistisch. Wir glauben, daß Ultranationalisten, Antisemiten, religiöse Fanatiker, Mystiker und großrussische Revanchisten eher siegen werden als irgendwelche Demokraten, welcher Spielart auch immer. Was bedeuten würde, daß Präsident Jelzin noch mehr umzingelt wird. Das Fehlen politischer Autorität führt zu zunehmender Gangsterherrschaft, und diese wiederum wird am Ende alle westlichen Investitionen ausschließen, da das Regime Recht und Ordnung nicht garantieren kann. Diese Gangsterbanden sägen natürlich an dem Ast, auf dem sie zu sitzen versuchen, aber die Verluste, die sie für das gesamte russische Volk bewirken, sind unermeßlich. Am Ende wird dies, so glauben wir, zu vollständigem Chaos führen, eventuell sogar zu einem Bürgerkrieg. Wir glauben auch, daß Boris Jelzin schon ziemlich bald durch einen für uns sehr unangenehmen Führer ersetzt werden wird. Dies in aller Kürze. Was willst du noch wissen?«
    »Wie analysiert eure Regierung die Lage?« fragte Jurij Tschiwartschew.
    »Unsere Regierung… Unsere fähigste Regierung der Geschichte, ja«, seufzte Carl. »Die kommen also zu einem vollkommen anderen Ergebnis. Erstens glauben sie, die Schocktherapie wirke sich hervorragend aus. Sie meinen ferner, daß die gesamte Unterstützung aus dem Westen auf Boris Jelzin setzen solle und daß westliche Regierungen sich einmischen sollten. Sie sollen euch

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