Im Namen Ihrer Majestät
GRU-Offiziere, die über das ehemalige KGB und HSI Informationen an den Nachrichtendienst Seiner Majestät lieferten, hatte plötzlich kalte Füße bekommen. Jetzt wollte er flüchten. Er hatte rechtzeitig mitgeteilt, wann er seine Familie in Riga erwartete, und ein Segelboot gekauft. In seiner letzten Mitteilung hatte er einen exakten Punkt und eine Uhrzeit draußen auf See mitgeteilt, gleich außerhalb der Grenze der lettischen Territorialgewässer. Er setzte voraus, daß man ihn abholte. Immerhin war er Offizier des Nachrichtendienstes und begriff folglich sehr wohl, was er geliefert hatte und welchen Wert es repräsentierte.
Plötzlich stand sehr viel auf dem Spiel. Ob die auf den Codenamen Castor getaufte Quelle dabei war, die Nerven zu verlieren, oder ob der Mann ganz einfach der Meinung war, für ein besseres Leben im Westen genug gespart zu haben, ließ sich nicht ausmachen. Ebenfalls war nicht klar, ob die zweite Quelle, Pollux, in eine Situation geriet, die der Mann nicht meistern konnte, wenn sein Militär sich plötzlich absetzte. Das übergebene Material deutete darauf hin, daß beide innerhalb der Organisation des GRU völlig verschiedene Funktionen hatten. Vermutlich waren sie nur gute Freunde. Doch in dem Fall war ihr Verhältnis innerhalb der GRU-Region allgemein bekannt, und folglich würde man Pollux die Hölle heiß machen, wenn Castor plötzlich überlief.
Es ging aber auch um einige der goldenen Regeln der Spionage. Man darf eine Quelle nie im Stich lassen oder verraten; trotz Glasnost, trotz Perestrojka, Boris Jelzin und neuer Weltordnung war in keinem Land des Westens kein einziger ehemaliger sowjetischer oder danach russischer Spion aufgrund von Verrat entlarvt worden. Kein einziger.
Da Schweden nun mal diesen Spion angeworben hatte, mußte Schweden ihn auch retten. Was nichts mit Moral, Gentlemanship oder sonstiger Sentimentalität zu tun hat. Es ist zwingend notwendig. Wenn ein Land dafür bekannt wird, daß es seine gemieteten Spione im Stich läßt, wird es ihm schwerfallen, neue anzuwerben.
In diesem Falle mußte man befürchten, daß der Mann schon überführt worden war und daß zur festgesetzten Zeit russische Kriegsschiffe am vereinbarten Treffpunkt auftauchen würden.
Doch dies war in gewisser Hinsicht das einfachste Problem. Die Abholung würde natürlich per U-Boot erfolgen. Das Gebiet würde zuvor mit Aufklärungsflugzeugen abgesucht werden, und in rein militärischem Sinn würden die Russen nur dann eine Falle stellen können, wenn sie ein eigenes U-Boot auf dem Meeresboden warten ließen. Doch was sollten sie dann tun, wenn das schwedische U-Boot in internationalen Gewässern an die Oberfläche kam? Das Feuer eröffnen? Was würden sie damit erreichen, abgesehen von einer politischen Krise?
Die Angelegenheit war jedoch nicht so alltäglich gewesen, daß man sie dem an nachrichtendienstlichen Fragen besonders interessierten Ministerpräsidenten Schwedens vorenthalten konnte. Samuel Ulfsson war in Rosenbad gewesen und hatte Vortrag gehalten. Er hatte eine Abholung per U-Boot nach vorhergehender Luftüberwachung empfohlen.
Der Ministerpräsident, der mit der Situation im großen und ganzen sehr wohl einverstanden war, also der Tatsache, daß es dem schwedischen Nachrichtendienst gelungen war, GRU- Offiziere zu kaufen, deren besonderes Wissensgebiet Diversionsverbände und Mini-U-Boote waren (obwohl er nicht wußte, daß der schwedische Nachrichtendienst sich des KGB als Mittler bediente), widmete sich dem Problem mit intensiver Aufmerksamkeit. Und da der Chef seines Nachrichtendienstes vorgeschlagen hatte, man solle zur vereinbarten Zeit Schiffe an den vereinbarten Ort schicken, mußte er diese natürlich mißbilligen. Hätte Samuel Ulfsson die Möglichkeit gehabt, vorher mit Carl zu konferieren, hätte er möglicherweise einige brauchbare Vorschläge dazu erhalten, wie man den Regierungschef des Landes dazu bringt, Vorschläge zu akzeptieren. Samuel Ulfsson hätte auch erfahren, wie man das auf keinen Fall erreicht, nämlich indem man selbst als erster den besten und einfachsten Vorschlag macht.
Folglich wurde diese Operation kompliziert. Erstens mußte ein Kontaktmann losgeschickt werden, um die Lage zu sondieren. Zweitens sollte dieser Kontaktmann die Fähigkeit des Überläufers erkunden, tatsächlich zur rechten Zeit zum richtigen Ort zu navigieren. Eventuell sollte der Betreffende mit angemessenen Navigationsinstrumenten ausgerüstet werden, nach Möglichkeit aber
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