Im Netz der Angst
Jahr Gefängnis hinter sich. Zwei Jahre zuvor hatte sie bereits sechs Monate abgesessen. »Das wäre ihr dritter Verstoß, damit wäre sie draußen. Und was bitte ist persönlicher als eine drohende lebenslange Haftstrafe?«
»Aber wie passt das zu dem Zeug an den Wänden? Das muss doch irgendwas bedeuten!«
Darauf hatte Josh nur eine Antwort: Er zuckte mit den Schultern.
Elise seufzte. »Na schön. Wo war sie zuletzt gemeldet? Wir statten Ms Bradley einen Besuch ab.«
»Gleich nachdem wir uns mit Jenna Norchester unterhalten haben«, willigte Josh ein.
6
»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.« Eine Stunde später hielt Marian Phillips Aimees Hand fest umschlossen. Sie standen im gemeinsamen Empfangsbereich vom Polizeirevier und einer Feuerwehreinheit. Marians Stimme hallte durch die fast menschenleere Säulenhalle. »Sie waren so freundlich und haben eine Menge Zeit für uns geopfert. Ich weiß wirklich zu schätzen, was Sie für mich und Taylor getan haben.«
Aimee plagten Schuldgefühle. Sie hatte mittlerweile eher den Eindruck, dem Mädchen überhaupt nicht weitergeholfen zu haben. Es fiel eben schwer, sich erfolgreich zu fühlen, wenn die einzige Kommunikationsform einer Patientin aus kryptischen, in ihrem eigenen Blut geschriebenen Nachrichten und heftigem Wiegen mit dem Oberkörper bestand. »Ich wünschte, ich hätte mehr tun können.«
»Die ganze Fahrerei und wie sie mir und Taylor geholfen haben, uns in Whispering Pines zurechtzufinden – ich wüsste nicht, was Sie mehr hätten tun können. Nichts kann mir meine Schwester zurückbringen. Oder meinen Schwager. Ich wünschte, Sie hätten die beiden kennengelernt.« Marian unterbrach ihr Schniefen und blickte zu Aimee auf. »Nun, obwohl, das haben Sie ja vermutlich.«
»Nicht wirklich«, sagte Aimee und tätschelte Marians Hand. Als Therapeutin war sie häufig in Dinge eingeweiht, die der Patient oder die Patientin nicht einmal den engsten Verwandten oder Freunden anvertrauen würde – meist waren das mehr Details, als Aimee wollte oder als nötig gewesen wären. Das hieß jedoch noch lange nicht, dass sie denjenigen, der ihr das anvertraut hatte, auch tatsächlich kannte. Sie wusste nicht, wie es sich anfühlte, mit diesem Menschen essen zu gehen oder gemeinsam einen Film anzusehen. Sie wusste nicht, welche Bücher ihnen gefielen oder wie sie ihren Kaffee tranken. Vielmehr erfuhr sie das, was die Patienten aus Angst vor allen anderen oder vor sich selbst verbargen.
Marian umarmte Aimee. »Sie sind ein gutes Mädchen.«
Aimee lächelte in Marians Haar hinein. »Es war auch schön, Sie kennenzulernen«, sagte sie und war dankbar, dass jemand mit so viel Mitgefühl sich von jetzt an um Taylor kümmern würde. »Ich wünschte nur, es wäre unter anderen Umständen geschehen.«
Marian ließ Aimee los und putzte sich die Nase. »Sie werden Taylor doch besuchen kommen, nicht wahr?«
»Ihr neuer Arzt wird das vielleicht nicht wollen, Marian. Ich werde tun, was ich kann, allerdings möchte ich den neuen Therapeuten auf keinen Fall verärgern. Das wäre nicht gut für Taylor.«
»Warum sollte es irgendjemanden verärgern, wenn Sie Taylor besuchen?« Marian runzelte die Stirn.
»Die neuen Ärzte werden ihre eigenen Rückschlüsse aus Taylors Verhalten ziehen und einen neuen Behandlungsplan erstellen. Besuche von einer ehemaligen Therapeutin könnten darin nicht vorgesehen sein oder als störend empfunden werden«, erklärte Aimee. Leicht würde ihr das allerdings nicht fallen. Nur äußerst ungern gab sie Taylor in fremde Hände.
Marian nickte bedächtig. »Schätze, das kann ich nachvollziehen. Obwohl ich nicht unbedingt damit einverstanden bin.«
»Ich würde trotzdem gern mit Ihnen in Verbindung bleiben«, sagte Aimee und kramte eine Visitenkarte aus ihrer Handtasche hervor. »Hier sind meine Kontaktdaten. Rufen Sie mich ruhig jederzeit an und halten Sie mich bitte auf dem Laufenden darüber, wie Taylor sich macht.«
»Selbstverständlich, das werde ich«, sagte Marian, nahm das Kärtchen und umarmte Aimee ein letztes Mal zum Abschied.
Als Aimee an der Glaskabine des diensthabenden Polizisten vorbei zum Parkplatz lief, beschlich sie das ungute Gefühl, schrecklich viele offene Fragen zurückzulassen.
»Aber ich habe versprochen, nichts zu verraten«, flüsterte Jenna Norchester.
Josh strich sich mit der Hand über das Gesicht, atmete tief durch und zählte innerlich bis zehn. Schon wieder! – Noch ein weiblicher Teenager, den er
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