Im Netz der Meister 2
zu kommen. Sie ging nicht wie sonst mit dem Hund eine halbe Stunde um den Block, sondern ließ ihn im Garten laufen. Die Haufen würde sie eben aufsuchen, wenn es draußen hell war. Morgen.
Rasch wärmte sie Suppe und Würstchen auf. Julia und Jenny waren zum Abendessen wahrscheinlich sowieso nicht da.
Gerald war gut gelaunt, als er kam.
Praxis Dr. Armin Wenzel
Chiffre W 23 09 62/ Anamnese
Frau S. wurde 1962 als Älteste von drei Töchtern geboren und wuchs in Bonn/Dottendorf auf. Die Mutter, geb. 1938, gelernte Stenotypistin, war nach der Heirat (1962) bis heute immer Hausfrau. So langweilig und beschränkt wie sie habe Frau S. nie werden wollen. Der Vater, 1930 – 1993, war Orthopädiemechanikermeister und arbeitete in Bonn/Friesdorf in einem Fachbetrieb, wo u.a. Prothesen und Spezialschuhe hergestellt wurden. Der Vater sei ein verschlossener Kauz, optisch ein »Hans-Dietrich Genscher-Typ« gewesen, der 1999 als Pegeltrinker an Leberzirrhose gestorben sei. Er habe kaum geredet, sich zu Hause bedienen lassen und den Pascha gespielt; die Mutter habe ihn von vorne bis hinten bedient und »betüddelt«.
Zu den beiden jüngeren Schwestern habe sie kein gutes Verhältnis. Verena, geb. 1964, sei eine »arrogante Klugscheißerin, die schon als Kind immer alles besser wusste«. Sie arbeite als Hausdame in einem Luxushotel. Adelheid, geb. 1965, sei genauso langweilig wie die Mutter und lebe mit ihrem Ehemann, vier Kindern und etlichen »Viechern« in Remagen. Die Kleine sei immer Mutters Liebling gewesen, sie habe in den Augen der Mutter immer alles richtig gemacht.
Sie sei in den Sechzigern in einfachen Verhältnissen aufgewachsen: kein Telefon, Kohlenofen, kein Auto. Erst in den Siebzigern habe der Vater einen dunkelgrünen NSU Prinz gefahren. Sie habe sich mit den Schwestern ein Zimmer geteilt und immer draußen spielen müssen, habe aber auch viele Freunde gehabt.
Später hätten Frauen sie immer enttäuscht, »Stutenbeißerei«, und sie komme besser mit Männern zurecht.
Nach der Mittleren Reife absolvierte sie eine Lehre zur Buchhändlerin. Sie habe schon als Zwölfjährige die Bücherei »durchgelesen«, sei immer literaturverrückt gewesen. Abitur und Studium hätten die Eltern nicht erlaubt: »Das lohnt sich nicht für ein Mädchen. Du heiratest sowieso!«
Nach einigen kurzen Beziehungen habe sie 1984 in einer Diskothek ihren späteren Ehemann Gerald kennen gelernt und 1985 geheiratet. Der Ehemann sei inzwischen Chef-Disponent einer internationalen Spedition. 1988 wurde Tochter Julia geboren, 1990 Tochter Jenny. Kurz danach kaufte die Familie ein Haus. Bis 2000 habe sie halbe Tage in der Stadtbibliothek gearbeitet, dann am Chlodwigplatz »Simones Bücherecke« eröffnet. Der Vater habe jeder Tochter nach seinem Tod 25.000 Mark aus einer Lebensversicherung hinterlassen, die habe sie investiert.
Das Geschäft sei gut gelaufen, bis sie zufällig über das Internet in die SM-Szene geraten sei. Sie habe das Geschäft vernachlässigt und sich selbst verloren. Sie habe sich mit verschiedenen Männern eingelassen, »heftige Sachen erlebt« und »beide Seiten der Medaille ausprobiert«. Bei einem Blind Date habe sie sich mit ihrem eigenen Mann verabredet, ohne es zu wissen. Er habe sie stundenlang in einer extra angemieteten Wohnung auf brutalste Weise gequält. Er habe sie heilen wollen und gedacht, die grausame Misshandlung würde wie eine Art Schocktherapie wirken.
Appendektomie, Tonsillektomie, 1998 Diagnose einer familiären Hypercholesterinanämie.
Als weiterer Risikofaktor ist ein starker Nikotinabusus von bis zu 60 Zigaretten täglich seit 30 Jahren zu nennen. Derzeitige Medikation: Sortis 20.
5
Simone flirtete schon am Morgen mit dem »König der Sieg«, der eine »Königin für sein Reich« ausgerechnet im »Harte-Liebe-Forum« suchte. In Wirklichkeit hieß er Hans-Dieter, hatte ein Immobilienbüro am Stadtrand von Siegburg und war, wie er schrieb, »frischer Single«. Seine Ex, eine elegante Blondine, gehörte im Forum zu den Frauen, deren Bilder Simone schon oft neidlos bewundert hatte: »Lulu«, so nannte sie sich, sah aus wie ein Filmstar aus den Fünfzigern und hatte es sich offenbar zur Lebensaufgabe gemacht, täglich neue Fotos von sich einzustellen. Noch vor wenigen Wochen hatte es zahlreiche Aufnahmen gegeben, auf denen Lulu mit dem »König der Sieg« posierte: in rotem Latex auf der Motorhaube eines grünen Porsche, im Lederkorsett auf glänzenden Marmorstufen, in freizügiger
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