Im Netz der Meister 2
Oder war BDSM eine Lebenseinstellung, die sie wollte und brauchte und liebte?
Simone schrieb eine Mail an Ute und fragte, ob sie am Abend telefonieren könnten. Sie brauchte ein Gespräch unter Frauen. Noch während sie die Nachricht verfasste, dachte sie: Irgendwie krank, dass man jemandem, den man anrufen will, eine Mail schreibt, um ihn zu fragen, ob man telefonieren kann. Früher hat man den Hörer in die Hand genommen und die Nummer gewählt .
Ute könnte eine Freundin werden, das spürte Simone.
Zu ihrer besten Freundin Britta hatte sie kaum noch Kontakt; zu oft drehte sich Simones Interesse um BDSM, um die Szene und um die Sehnsüchte. Britta, die zwar Bescheid wusste, aber selber Stino, eine »Stinknormale« war, hörte ihr zwar zu, aber sie wusste nicht, worum es wirklich ging. Die Telefonate wurden seltener, die Besuche blieben aus, und Simone war nicht traurig deswegen. Sie hatte keine Lust mehr auf Stinos, auf Vanillas, wie sie in der Szene auch genannt wurden, weil sie so brav und fad waren wie ein Sonntagspudding.
»Uns geht’s genauso, Kalle und ich pflegen zwar einen großen Freundeskreis, der sich aus Nachbarn und Kollegen zusammensetzt, aber es ist niemand dabei, an dem mein Herz hängt«, sagte Ute.
»Die Szene verändert alles, oder? Früher gab es viele Menschen, die mir wichtig waren, heute werden es immer weniger, und sie bleiben auch nicht lange. Manche Freundinnen haben mich zwanzig Jahre begleitet, und jetzt haben wir uns fast nichts mehr zu erzählen«, sagte Simone.
»Sieh es positiv: Es waren Lebensabschnittsgefährtinnen, und sie waren alle wichtig. Außerdem ändert die Szene die Menschen nicht, es liegt an uns selber, wir sind die Szene.«
»Meinst du, dass es an mir liegt, dass ich mit Gerald in letzter Zeit selten SM habe? Dass ich weiter im Netz unterwegs bin und suche, immer noch zur Tür gucke, um zu sehen, ob nicht doch noch ein Besserer kommt? Und dass es ihm genauso geht und er deswegen mit dieser Anna rummacht?«
»Ob Anna oder sonst wer, ich glaube nicht, dass es an der Person liegt. Es geht ums Prinzip, denke ich. Als Kalle und ich uns vor über zwanzig Jahren kennenlernten, war alles sehr einfach: Kalle wollte mich, und ich war da. Ohne Tamtam, ohne angelesene Regeln aus Internetforen; was wir taten, war gut und richtig. Kalle hat mit einer göttlichen Selbstverständlichkeit von mir etwas verlangt, und ich hab’s ihm gegeben. Ohne Gezicke, ohne Machtkampf, einfach so, weil ich es so wollte, weil er es so wollte.«
Simone wusste genau, was Ute meinte.
»Ja. Er muss den Rhythmus vorgeben, damit ich danach tanzen kann. Und nur, wenn beide sich an diese Regeln halten, wird es ein schöner Tanz. Wie in der Tanzschule: Der Herr führt!«
Ute lachte: »Genau so. Und wenn der Herr nicht souverän führt, tritt man ihm eben auf die Füße.«
»Ich hab das erst später gelernt, dieses subtile Lenken. Früher wollte ich einem Mann unbedingt zeigen, wie stark ich bin. Auch mit Gerald gab es am Anfang regelrechte Machtkämpfe. Heute denke ich, dass es mir schon damals keinen Spaß gemacht hat, sie zu gewinnen.«
» Schon damals?« Ute war eine aufmerksame Zuhörerin.
»Ja. Mir wird das jetzt klar, während wir drüber reden. Es ist alles ganz schnell anders geworden mit dem SM. Vielleicht nicht mehr so glaubwürdig, ich weiß nicht genau. Ich wär gern mit Gerald in unserer neuen Welt geblieben. Als Sklavin, Wunscherfüllerin, als sein Werkzeug, was auch immer. Aber es geht nicht wirklich. Ich agiere, er reagiert. Nicht nur Gerald, das war bei allen Doms so, die ich hatte. Nur ganz am Anfang dachte ich, ich würde Macht über mich abgeben. Aber das ist nicht wahr. Egal, ob ich dominant oder devot bin, ein Mann kann nur reagieren. Er ist so gebaut. Und wenn ich meinem Herrn , den ich so nenne, weil ich das gut finde oder weil ich gut finde, dass er das Gefühl hat, es mir befohlen zu haben, ihn so zu nennen, jeden Wunsch erfülle, dann ist das meine Entscheidung, oder?«
»Worauf willst du hinaus?«
»Ich kann die Wünsche des Mannes steuern. Immer. Du bist doch Switcher, du musst wissen, ob ich Recht habe!«
Ute zögerte, bevor sie antworte: »Ja.«
Simone musste fast weinen. Sie wollte nicht, dass es wahr ist.
Ute spürte ihre Stimmung und lenkte das Gespräch um: »Warum willst du dir einen neuen Dom suchen? Weil Gerald mit Anna geflirtet hat? Oder bist du nicht ausgelastet? Ist es Neugier? Oder läuft gar kein SM zu Hause?«, fragte sie.
»Selten. Das geht hier
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