Im Netz der Meister (German Edition)
viele reale Kontakte wegen des Internets vernachlässigt. Das hatte jetzt ein Ende, und das normale, ruhige Leben würde wieder beginnen.
Simone hielt sich an fast einen Monat lang ihre guten Vorsätze. Dann kam eine SMS von Karel: »Bin zurück. Warum ist dein Profil gelöscht? Du beantwortest meine Mails nicht? Will dich sprechen. Anruf heute neunzehn Uhr.«
Simone freute sich wirklich, von ihm zu hören und sagte die telefonische Verabredung zu. Da ist ja nichts dabei, das ist kein Rückfall, sondern Höflichkeit , sagte sie sich.
Karel fragte: »Warum antwortest du nicht auf meine Mails?«
»Ich habe mich bei Love.Letters abgemeldet. Ich hatte keine Lust mehr. Es ist nicht das, was ich brauche und will.«
»Soso. Keine Lust. Ist bei dir alles in Ordnung?«
Sie antwortete nicht. War alles in Ordnung? Es blieb eine Weile still in der Leitung.
»Geht es dir gut?«
Simones Kopfhaut begann zu kribbeln. Ihre Kehle wurde trocken. In ihrem Magen pieksten plötzlich tausend Stecknadeln. Sie schluckte. Diese Frage war wie ein Signal. Karel hatte sie während der Session gestellt, als es ihr sehr gut ging.
»Ich will dich sehen, Simone.«
Oh nein, das kann ich nicht noch mal. Noch nicht.
Sie hatte sich doch aus der Szene verabschiedet, innerlich. Sie wollte nichts mehr erleben, nicht nach dem Horrortrip mit Mark. Sie kriegte diese kalten Augen nicht aus dem Kopf und diese diffuse Angst nicht aus dem Herzen.
»Ich weiß nicht, ob ich hier weg kann, Karel. Das Geschäft, mein Mann, die Kinder. Weißt du, ich muss mich um meine Familie kümmern.«
»Was soll das Gerede? Mach dir doch nichts vor. Du kannst nicht mehr zurück. Es ist zu spät, Simone, du hast die ersten Schritte getan, und nun musst du den Weg weitergehen.«
Hatte er Recht? Den Weg weitergehen? Um Himmels willen, wenn er Recht hatte!
Karel hat keine Abfuhr verdient. Er war immer korrekt, und es war sehr schön mit ihm. Soll ich? Oder soll ich ihm von Mark erzählen, ihm erklären, warum ich nicht möchte? Möchte ich nicht?
Simone war nervös und unschlüssig, hin– und hergerissen zwischen der Aussicht auf eine weitere Session mit dem charmanten Karel und der Erinnerung an den brutalen Mark.
Er sagte: »Ich bin dein Dom. Dein Dom will dich sehen. Wie lautet die korrekte Antwort?« Sein Tonfall ließ keinen Widerspruch zu.
»Ja, Herr. Ich werde dafür sorgen, dass ich dir zur Verfügung stehen kann.«
Ich hab den Verstand verloren! Warum sage ich das? Ich will das doch gar nicht! Oder doch?
Sie hörte an seiner Stimme, dass er lächelte. »Sehr schön. Wir sehen uns am übernächsten Wochenende. Der Ort ist mir egal. Gib mir die Adresse deiner Buchhandlung. Du bekommst in den nächsten Tagen ein Päckchen. Danach meldest du dich unaufgefordert bei mir.«
Simone hatte Herzklopfen. Wieso reagierte sie so auf seine Anweisungen? War sie in ihrem Herzen doch eine Sklavin? War Mark einfach eine Scheißerfahrung gewesen, die sie vielleicht sogar besser überwinden würde, wenn sie sich auf einen anderen einließ?
Fieberhaft überlegte sie, wie sie schon wieder eine Reise organisieren und vor Gerald rechtfertigen konnte. Sollte sie wieder Britta als Alibi angeben? Das ging nicht, Gerald würde Verdacht schöpfen.
Simone entwarf an ihrem Computer einen Briefkopf. »Organisation der Buchhändler im Rhein/Sieg-Kreis« stand dort, und darunter setzte sie die Einladung zu einem zweitägigen Kolloquium in Köln. Simone bat Adele Fuchsberg, sie am Nachmittag im Laden zu vertreten, fuhr nach Köln und warf den Brief in einen Briefkasten am Hauptbahnhof. Sie hatte ihn an sich selbst adressiert. Neugierig und gespannt wartete Simone in den nächsten Tagen auf die Post. Die Einladung zum Buchhändlertreffen war schon am nächsten Tag dabei.
Sie ließ sie gut sichtbar auf dem Schreibtisch liegen, damit Gerald sie am Abend nicht übersehen konnte. Er wollte sie an diesem Tag in der Buchhandlung abholen, weil sie nach Feierabend gemeinsam im Baumarkt ein Geländer für die Kellertreppe kaufen wollten.
Zwischen Buchsendungen und Geschäftsbriefen kam Ende der Woche ein neutral verpacktes Paket an. »Muster« stand mit Filzstift darauf geschrieben und als Absender »Herr Karel, Amsterdam«.
Simone wartete, bis sie allein im Laden war, ging dann ins Hinterzimmer und riss das Paket auf. Ein Schuhkarton war darin. Sie öffnete den Deckel und stieß einen überraschten Schrei aus: Feuerrote Pumps aus glänzendem Lack lagen darin. Karel hatte ihr rote Schuhe
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