Im Netz der Meister (German Edition)
Hatte er vorher in Karin gesteckt?
Später wusste sie nicht, wie sie die letzten Minuten in Karins Wohnung überstanden hatte. Sie fuhr direkt in die Buchhandlung und schloss sich ein. Und dort konnte sie endlich heulen.
Den Schock über das, was Karin ihr erzählt hatte, verarbeitete Simone nur langsam. Jedes Mal, wenn sie daran dachte und sich vorstellte, wie Mark und Karin sich über sie amüsiert hatten, bekam sie Bauchschmerzen und feuchte Hände.
Sie hatte eine Feindin und hatte es nicht geahnt. Wie sollte sie auch? Simone hatte sich selbst immer als gutmütig empfunden. Was Karin ihr angetan hatte, war zu viel. Woher hätte sie wissen sollen, dass Karin Karel immer noch nachtrauerte, als sie sich mit ihm traf? Nein, sie traf keine Schuld an Karins Liebeskummer.
»Man trifft sich im Leben immer zweimal«, hatte Mama früher oft gesagt. Simone würde Karin ein zweites Mal treffen, dessen war sie sicher.
Gegen ihren Kummer und ihre Wut half nur Ablenkung, und die fand sie bei Love.Letters.
Unsichtbar beobachtete sie Karins Profile weiter. Es war kein Problem, ihre Kontakte nachzuvollziehen, denn mit einem ihrer vielen Nicks war Karin immer online. Wenn Simone sich morgens um halb neun einloggte, war Karin schon aktiv. Wenn Simone abends um halb neun, bevor sie die Buchhandlung verließ, noch einmal einloggte, war Karin immer noch da.
Es stimmte, was sie gesagt hatte, sie pflegte auch viele Kontakte zu Frauen bei Love.Letters. Simone sah sich die Profile und die Bilder an. Sie stellte fest, dass alle Frauen, mit denen Karin in ihren Gästebüchern Gesäusel a la »liebste Freundin« austauschte, extrem dicke und auffallend unattraktive Frauen waren. Klar, bei den Fratzen ist Karin immer die Schönste und hat keine Konkurrenz , dachte Simone.
Auf Marks Seite passierte in der Besucherliste nicht viel, wahrscheinlich kommunizierte er mit Karin nicht öffentlich, sondern per Mail.
Simone korrespondierte weiterhin mit Karel, aber ein Treffen war nicht mehr geplant. Es war eine freundschaftliche Korrespondenz geworden, bei der sich beide einig waren, dass man eine tolle gemeinsame Zeit gehabt hatte. Ein paar Mal versuchte Simone, Karel diskret auf sein Verhältnis zu Karin anzusprechen, aber er reagierte nicht darauf. Er war wirklich ein Gentleman, ganz anders als Mark. Sie wollte nicht mehr daran denken.
Simone hatte erneut beschlossen, sich emotional auf nichts mehr einzulassen. Eine schöne Session – gerne. Aber nicht mehr. Sie machte sich auf die Suche nach einem neuen Dom.
Sie plauderte oft mit Arno und mochte diese Gespräche, weil er sie immer wieder zum Lachen brachte. Es war erstaunlich, was Arno alles wusste, aber er kannte ja durch seine Gruppen und deren Moderation fast alle, die sich bei Love.Letters zum BDSM bekannten.
»Kennst du eigentlich Your Top?«, fragte Simone ihn einmal.
»Ja, wenn auch nicht persönlich. Scheint ein harter Hund zu sein, Annika hat mir von ihm erzählt. Sie war ziemlich fertig nach dem Treffen mit ihm. Der Bursche hat ihr übel zugesetzt.«
»Ja, ich habe mit ihr ein paar Mails gewechselt«, erzählte Simone, »kennst du sie real?«
Arno schrieb: »Ja. Wir hatten eine Verabredung. Aber die junge Dame hat mitten in der Nacht einen Weinkrampf bekommen. Ich habe sie zu ihrem Auto gebracht und sie ist nach Hause zu Mann und Kindern gefahren.«
»Hattet ihr eine Session verabredet? Arno, was hast du mit ihr gemacht?«
»Keine Sorge, Lady, ich habe ihr nichts getan. Wir hatten unser Spiel begonnen, aber dann stürzte sie ab. Hatte wohl das Erlebnis mit Your Top noch nicht verarbeitet.«
»Die Ärmste. Dann ist es ja gut, dass sie nachher an jemanden wie dich geraten ist, der Verständnis hatte. Hat dir der Altersunterschied nichts ausgemacht? Ich meine, dreißig Jahre?«
»Lady. Das ist eine indiskrete Frage. Ich muss jetzt mal raus. Bye und Küsschen.« Und weg war er.
Simone musste lachen. Ihre letzte Frage war nicht weniger indiskret gewesen als die ersten, die Arno bereitwillig beantwortet hatte. Das Telefon klingelte. Gerald war dran. Seine Stimme klang komisch.
»Liebes, kommst du heute wieder so spät?«
»Das kommt darauf an, wie viel zu tun ist, Schatz«, antwortete Simone.
»Du hattest in den letzten Monaten extrem viel zu tun. Du bist sogar über Mittag dageblieben und warst keinen Abend vor neun zu Hause. Heute kam die Quartalsabrechnung vom Steuerberater, Simone. Ich habe sie gelesen. Du hast nur halb so viel Umsatz wie im Quartal zuvor, obwohl du
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