Im Netz der Meister (German Edition)
dich so unglaublich für deinen Laden engagierst. Wir müssen darüber reden. Irgendwas läuft verkehrt. Wenn es so weitergeht, bist du bald pleite.«
Simone erschrak. Wenn die Buchhandlung Pleite ging, hatte sie keine Möglichkeit mehr zum Chatten, keine Chance mehr auf ein Date! Das durfte nicht sein.
Sie saßen in der Küche. Gerald hatte eine Flasche Wein geöffnet. Simone kam sich zu Hause vor wie in einer engen, fremden Welt. Die gestylte Küche, das Haus und der Garten, alles war zwar aufgeräumt, aber inzwischen wieder ein bisschen ungepflegt. Dabei hatte sie früher so viel Wert darauf gelegt, dass alles sauber und glänzend war. Äußere Ordnung als Fassade, um inneres Chaos zu überdecken? Vielleicht war es einmal so gewesen, vielleicht nicht.
Seit Monaten erledigte Simone, bis auf die wenigen Phasen, in denen sie sich auf ihr normales Leben hatte zurückbesinnen wollen, im Haushalt nur noch das Nötigste.
Sie war ja kaum hier, sondern verbrachte den ganzen Tag im Geschäft. An den halben freien Tagen, an denen Adele Fuchsberg sie vertrat, ging Simone lieber zum Friseur, ins Solarium oder ins Fitness-Studio.
Das Tamtam, das sie einmal um den Haushalt gemacht hatte, war nicht mehr nachvollziehbar. War es nicht völlig egal, ob die Gardinen zum Geschirr oder die Bilder an der Wand zum Obstkorb passten? Es gab Wichtigeres als diese Oberflächlichkeiten.
Gerald erschien ihr farblos und langweilig. Er sah immer noch gut aus, aber er wirkte müde und ausgebrannt. Unter den blauen Augen begannen sich Tränensäcke zu bilden, sein dunkles Haar war schütter und an den Schläfen grau geworden.
War es wirklich inzwischen neunzehn Jahre her, dass sie sich kennen gelernt hatten? Wie verrückt sie damals gewesen waren, wie unbeschwert und optimistisch. Viele Pläne hatten sie gehabt, und sie hatten sie alle erreicht.
Das Haus war eines der schönsten in der Straße, die Mädchen machten kaum Scherereien und waren in ein paar Jahren erwachsen. Gerald hatte einen Beruf, in dem er anständig verdiente, und die Schulden waren in ein paar Jahren bezahlt.
Sie hatten einige schöne Reisen gemacht und sich einen großen Freundeskreis aufgebaut. Der allerdings hatte sich in den vergangenen Monaten extrem verkleinert.
Simone hatte immer abgewinkt, wenn Gerald Gäste einladen wollte. Worüber sollte sie sich mit diesen Leuten unterhalten? Sie hatte einfach keine Lust mehr auf Bürgerlichkeit. Was war schon dabei? Menschen ändern sich. Stillstand ist Tod , dachte Simone.
»Was ist los im Geschäft, Simone?«, hörte sie Gerald fragen.
Sie hatte keine Erklärung. Das heißt, sie hatte eine, aber die ging Gerald nichts an. Der kleine Buchladen hatte immer davon gelebt, dass Simone sich engagiert um die Kunden und ihre Wünsche kümmerte. In den letzten Monaten grüßte sie freundlich, wenn jemand hereinkam, aber ein lapidares »Sie melden sich, wenn Sie Hilfe brauchen, ja?« war alles, was sie noch für ihre Kunden tat. Und wenn sie gerade in einem interessanten Chat war, führte sie ihn fort, auch wenn Kunden im Laden waren.
Simone wusste das alles und nahm sich jetzt vor, künftig wieder mehr zu arbeiten als zu chatten. Nicht auszudenken, wenn sie den Laden schließen musste.
»Es liegt vielleicht an den Internet-Buchhandlungen«, erklärte sie lahm. »Die Leute können jeden Titel bequem bestellen und müssen dafür keinen Schritt aus dem Haus gehen.«
Gerald überlegte. »Ja. Das kann sein. Dann musst du eben was Besonderes bieten, ein Sortiment mit Beratungsbedarf.«
Simone hatte eine Idee. »Vielleicht erotische Literatur für Frauen? Romane und Fachbücher, und dann mit diskreter Beratung?«
Gerald lachte schallend. »Was sollen das denn für Bücher sein? Anleitungen à la Kochkurs: Wie besorg ich’s meinem Mann? Blasen mit Erfolg? Die neuen Stellungen?«
Du hast wirklich keine Ahnung , dachte Simone mitleidig und stimmte gekünstelt in sein Lachen mit ein.
Sie überlegten noch eine Weile gemeinsam, wie man den Laden wieder in Schwung bringen könnte. Gerald hatte einige Ideen, denen Simone pro forma zustimmte. Sie wusste ja, wo es haperte, aber das würde sie ihm nicht sagen.
Sie orderte ein Sortiment einschlägiger Romane und Sachbücher und orientierte sich bei der Auswahl auf den Internetseiten der zahllosen BDSM-Links, die sie Laufe der Zeit gesammelt hatte.
Sie erklärte Adele Fuchsberg, was sie vorhatte.
Schließlich musste ihre Mitarbeiterin im Thema sein, wenn jemand nach diesen Büchern
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