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Im Netz der Meister (German Edition)

Im Netz der Meister (German Edition)

Titel: Im Netz der Meister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Berling
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Masochistin?
    Nein, Masochistin, das war zu heftig, das war etwas Krankes, Perverses, etwas, das sie immer noch nicht aussprechen wollte. Sie wehrte sich nach wie vor heftig gegen diese Bezeichnung.
    Sie suchte wieder in Büchern und im Internet nach Definitionen, nach Erklärungen. Sie wusste nicht, wie oft sie in den vergangenen Monaten versucht hatte, sich selbst in den Beschreibungen zu finden. Immer wieder hatte sie Geschichten, Romane und Bücher gelesen, in denen sie sich in einigen Sätzen selbst erkannte, aber sie, Simone, als komplexe Person, konnte sich noch immer nicht erklären, wer oder was sie war.
    Auch das Sortiment spezieller Fachliteratur, das sie in ihrem Bücherladen inzwischen mit mäßigem Erfolg anbot, half ihr wirklich weiter. Handbücher über Sadomasochismus gab es reichlich, schlechte Romane zum Thema ebenfalls. Nirgends war ein Anhaltspunkt, etwas Greifbares, Logisches, an dem sie sich hätte orientieren können. Sie mochte Schmerz, sie mochte Lust, sie mochte Abenteuer, aber dieses ganze Drumrum mochte sie nicht.
    Sie gab den Begriff »Sadomasochismus« im Internet in eine Suchmaschine ein. 58.600 Seiten standen ihr zur Auswahl. Sie versuchte es mit »Masochismus«, 37.000 Seiten. Zum Begriff Sadismus gab es 66.000 Seiten.
    Unglaublich. Unüberschaubar. Für wie viele Menschen gab es diese vielen Informationen?
    Dass sie mit dem, was sie für Teile und Facetten einer noch nicht klar definierten Neigung hielt, nicht allein dastand, wusste sie aus den Foren von Love.Letters. Beim Surfen und Lesen der Profile hatte Simone oft das Gefühl, zahllose Frauen klammerten sich verzweifelt an die Vision von Dom und Sub, weil sie so jemanden zu treffen hofften, der die Scherben ihrer Seelen wieder zusammenkitten konnte. Träumten diese Frauen wirklich vom Herrn über Leib und Seele, und vor allem über ihre Geilheit und ihren Orgasmus? Glaubten sie daran? Eine Farce? Ein Spiel? Eine Modeerscheinung?
    Fetischkleidung war Bestandteil vieler Werbespots, Musik-Clips und Modefotos, sogar die Sparkasse warb zurzeit mit einem SM-Motiv. War es »in«, sich zum SM zu bekennen oder zumindest darüber Bescheid zu wissen?
    Simone ärgerte sich über die Doms, die im Internet vom Sub-Himmel schwafelten, von »fallen lassen« und »fliegen«, vom Loslassen und Auffangen, vom Glück dieser Erde für die besondere Frau, die stark genug war, um schwach zu sein und sich ihm allein völlig hinzugeben. Sie lachte höhnisch auf, als sie das Bild der »stolzen Sub« vor sich sah, ein Männertraum, klar, sie, nackt, auf allen vieren kriechend, den Blick perfekt gesenkt und stilecht gekleidet in jeder Position.
    Sie dachte an Karin. Karin, die sich als intellektuelle Gräfin ausgab und schlaue Zitate von sich gab, die ihre Fotos so lange mit einem Computerprogramm bearbeitete, bis sie wie ein 30-jähriges Model aussah und die sich als multiple virtuelle Persönlichkeit unter zig Namen im Internet aufhielt und sich als »leitende Mitarbeiterin im Kulturmanagement« ausgab. Simone hatte Karin neue Berufsbezeichnung erst kürzlich in einem Forenbeitrag gelesen.
    In Wahrheit war sie eine arbeitslose Mutter mit vier Kindern, die den ganzen Tag in ihrer rosaroten Wohnung hockte, Kette rauchte und den Prinzen suchte, der sie aus der Schäbigkeit befreien würde. Allein Karins Gästebuch bei Love.Letters war eine Zumutung für literaturfeste Leser wie Simone: Schwülstige Gedichte über Subs, die wie wunderbare Geigen seien und denen nur der wahrhaftige Dom die richtigen Töne entlocken konnte, Verse, in denen Männer auf »Peitsche holen« »Arsch versohlen« reimten und sich als sehr besonders darstellten – Simone packte die Wut beim Lesen der stilisierten, pathetisch-kitschigen Wortschwalle in unendlichen Variationen.
    Die selbst verfassten Hobbyschreibergeschichten, die es zu Tausenden im Internet gab, hatten sie zu Beginn ihrer Beschäftigung mit diesem Thema noch ehrlich fasziniert. Angesichts der Fülle pornografischer Erstlingswerke war sie bei diesem Genre längst des Lesens müde und ärgerte sich nur noch über die stilistischen Katastrophen, die da ohne Rücksicht auf den Leser ungefragt veröffentlicht wurden.
    Eine lange Mail von Theo unterbrach ihre Gedanken. Er bedankte sich für den wunderbaren Abend, den er sehr genossen hatte. Er müsse ihr jedoch etwas sagen, das ihm sehr am Herzen läge: »Liebste Simone, du bist erst am Anfang deines Weges. Du hast dich noch nicht gefunden. Du wirst eines Tages erkennen,

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