Im Netz der Meister (German Edition)
dass du kein submissiver Mensch bist. Du bist dominant. Du solltest darüber nachdenken, etwas daraus zu machen, denn es gibt kaum attraktive Frauen, die zugleich dominant sind. Wann immer ich dir dabei helfen kann, deine andere Seite zu entdecken, ich bin für dich da.«
Simone lachte. Dachte er so, weil sie ihn so gleichgültig behandelt hatte? Theo hatte ihr ja erzählt, dass er beide Seiten der Medaille kannte, in ihrer Gegenwart hatte sich vielleicht seine devote Seite gemeldet.
»Wie kommst du nur darauf, Theo? Unser Treffen war eindeutig, ebenso eindeutig, wie die Rollen, die wir gespielt haben.«
Sie war doch keine Domina! Nicht ein bisschen fühlte sie sich dominant. Natürlich hatte sie im Alltag, im Geschäft und auch zu Hause eine gewisse Dominanz, aber das hatte keine sexuellen Hintergründe. Theo irrte sich. Vielleicht wünschte er sich, dass sie beim nächsten Mal die Rollen tauschen würde?
Es würde kein nächstes Mal geben. Simone hatte keine Lust, und das schrieb sie Theo sehr deutlich und unmissverständlich.
»Du bist nicht der, den ich brauche, Theo. Nimm es nicht persönlich, es nicht persönlich gemeint. Es liegt an mir. Ich muss mir erst mal darüber klar werden, was ich will. Vielen Dank für die nette Zeit, die du mir geschenkt hast.«
Theo zeigte sich verständnisvoll, ließ aber nicht locker. »Denk daran, was ich dir gesagt habe, Simone. Bedenke bei deiner Suche die andere Seite des Regenbogens. Sie ist stark ausgeprägt in dir, ignoriere sie nicht. Ich kenne dominante Frauen, und du bist eine. Du bist groß, schlank, dunkel, hast eine erotische Stimme und das nötige Auftreten. Das ist dein Weg, glaub mir!«
Simone schüttelte den Kopf. So ein Quatsch. Sie versuchte sich vorzustellen, wie ein devoter Mann auf sie wirken würde. Das alberne Foto von Arno im Blümchenkleid mit Gasmaske fiel ihr wieder ein. Sie lachte.
Nein. Das war nichts für sie. Natürlich konnte sie devote Neigungen bei Männern nachvollziehen, irgendetwas davon hatte sie selbst schließlich auch, aber erotisch fand sie kriechende Männer gewiss nicht. Wie konnte Theo nur so etwas von ihr glauben?
Unter den speziellen Büchern, die Simone für ihren Laden suchte, fiel ihr auch ein alter Bestseller der BDSM-Literatur in die Hände: »Venus im Pelz«, von Leopold von Sacher Masoch, erschienen 1870. Darin ging es um einen Sklaven, der durch seine Herrin Wanda die Frau als Domina, als Venus im Pelz, erlebt und an seine geistigen und körperlichen Grenzen getrieben wird. Das Buch an sich beeindruckte Simone nicht sehr, abgesehen davon wusste sie nun, woher Arno sich seinen Nickname »Leopold« entliehen hatte, wenn er als Sklave von Lady Domme unterwegs war.
Gab es das? Den Sadisten oder den Masochisten?
Arno und Theo waren gute Beispiele dafür, dass in jedem Menschen viel mehr steckte, als nur eine einzige erotische Neigung oder ein sexuelles Bedürfnis. Beide waren Switcher, empfanden mal so und mal anders und lebten beide Neigungen aus. Ob sie auch so intensiv versucht hatten, ihre Gefühle und Bedürfnisse zu sortieren, bevor sie den ersten Schritt auf die Bahn dieser besonderen Begegnungen gewagt hatten?
Woher kamen diese Neigungen? Entwickelten sie sich durch Erlebnisse, waren sie einfach eines Tages da? Waren sie schon immer da gewesen? Gab es einen roten Faden in den Biografien der SMler?
Manchmal dachte Simone, sie würde verrückt, weil sie immer nur Fragen fand und nie wirkliche Antworten.
Rule
Als Simone wieder zu sich kam, lag sie auf dem Fußboden. Sie hatte nicht bemerkt, dass Rule sie wieder von den Ketten gelöst und hingelegt hatte.
Ihre Lider waren verklebt von Mascara und Tränen, und sie konnte sie kaum öffnen. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Getrocknetes Blut. Sie hatte sich gebissen, eben, vorhin, irgendwann.
Vorsichtig versuchte sie, den Kopf anzuheben und sah in den Raum. Die dicken Kerzen brannten mit ruhigen Flammen.
Rule saß an der Wand gegenüber, hatte sich angelehnt, die Beine ausgestreckt und die Arme vor dem Bauch verschränkt.
»Rot!«, flüsterte Simone.
Angetrocknetes Blut auf den geplatzten Lippen löste sich und vermischte sich mit frischem.
Er bewegte den Kopf, als er den krächzenden Laut hörte, den sie von sich gab. Er beugte sich ein wenig vor.
Warum sagte er nichts?
Sie wollte wenigstens die Stimme hören, es war so still hier, nur ihr Wimmern, ihr leises Weinen, ihr schnaufendes Atmen durch die blutverkrustete Nase war zu hören.
»Rot!
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