Im Netz der Meister (German Edition)
unterhalb des Emblems ein Textfeld: »Word-Dokument. Autor: Erasmus Wiedenbein«.
Den Namen kannte sie. Wo hatte sie ihn gehört oder gelesen? Simone überlegte fieberhaft, aber es fiel ihr nicht ein. Sie gab den Namen bei Google ein.
»Ach du liebe Zeit!«, entfuhr es ihr.
Arno war Professor Dr. Erasmus Wiedenbein, der bekannte Münchner Sozialwissenschaftler? Das passte im weitesten Sinne zu Arnos Behauptung, er habe einen »politischen Beruf«. Simone hatte in der Zeitung von Erasmus Wiedenbein gelesen. Da war dem Herrn Professor aber ein dummer Fehler beim Speichern der Datei unterlaufen, indem er den BDSM-Text offensichtlich auf einem Computer geschrieben hatte, der ganz offiziell auf seinen Namen registriert war. Sie startete eine Bildersuche bei Google. »Bingo«, rief sie, als sie ein Porträt des Mannes fand, den sie freundschaftlich als kugelbäuchigen alten Dackel bezeichnete.
Sie würde ihm später eine Mail schicken und ihn auf diesen Fehler hinweisen, doch zunächst siegte Simones Neugier.
Sie suchte nach weiteren Informationen und fand im Internet den Lebenslauf von Arno, alias Erasmus Wiedenbein. Er war Jahrgang 1936.
Simone schmunzelte: Das Schlitzohr hatte sich im Netz tatsächlich um volle zehn Jahre jünger ausgegeben!
Erasmus Wiedenbein war in Köln geboren und aufgewachsen und hatte dort Sozialwissenschaften und Germanistik studiert. Zwei Jahre lang studierte er in Mailand, bevor er später in seiner Heimatstadt Köln promovierte. Anschließend ging er als Dozent nach Göttingen und bekam Anfang der neunziger Jahre eine Professur in München. Dort lebte Wiedenbein seit 1978, war in mehreren Faschingsvereinen Gründungs- und inzwischen Ehrenmitglied.
Klar , dachte Simone, ein waschechter Kölner kann nicht ohne Karneval leben. Vielleicht hatte er im Fasching schon lange seinen Hang zum Damenwäscheträger ausleben können?
Seit 2001 war Erasmus Wiedenbein verwitwet, Kinder hatte er keine. Nach seiner Pensionierung vor drei Jahren hatte er drei Sachbücher in einem Hamburger Verlag veröffentlicht.
Kein Wunder, dass er so oft online sein kann, wenn er Rentner ist, dachte Simone.
Sie schrieb ihm eine Mail, warnte ihn vor unerwünschtem Outing durch seine kleine Nachlässigkeit und erklärte ihm kurz, wie sie auf seinen Realnamen gestoßen war.
»Wie kamst du dazu, dich Arno zu nennen?«, fragte sie ihn.
Er antwortete nur kurze Zeit später, bedankte sich zuerst überschwänglich für ihre Diskretion und ihre Fairness und erklärte, dass er mit vollem Namen Erasmus Arno Willibald heiße und seine Freunde ihn Arno nannten. Er wollte auch von Simone weiterhin so angeredet werden.
»Kein Problem, wenn ich dich Erasmus nennen sollte, müsste ich sowieso jedes Mal lachen«, antwortete Simone. Dass sie im Internet sein wahres Alter herausgefunden hatte, sagte sie ihm nicht. Wozu auch? Wenn er es für sein Selbstbewusstsein brauchte, sich jünger zu machen, dann sollte er das haben, dachte sie. Arno fragte zum ersten Mal nach einem Foto von Simone, und sie schickte ihm ein Porträt.
»Lady!!!! Noch nie habe ich eine Frau gesehen, die so perfekt in mein Beuteschema passt! Donnerwetter, du bist ein tolles Weib! Ich will dich haben, Lady!«
Simone lachte über seine Schwärmerei und nahm ihn nicht ernst. Für sie war klar, dass sie mit einem dicken, fast Siebzigjährigen ganz gewiss nicht ins Bett gehen würde.
Arno hielt sein Versprechen und schickte ihr eine Einladung zu seiner Buchpremiere. Dem Schreiben hatte er ein Bahnticket erster Klasse und die Reservierungs-Bestätigung des Hamburger Elysée Hotels beigefügt.
Simone war beeindruckt. Das Alkovenzimmer war für sie gebucht, großzügig war der Knabe, das musste sie anerkennend feststellen. Das Elysée war eine noble Adresse, und die Preise entsprachen dem Namen des Hauses. Ihr Zimmer kostete knapp zweihundert Euro für eine Nacht – ohne Frühstück.
Warum tat Arno das? Schließlich war er als Devoter in festen Händen seiner Domina; aus den Einträgen in den Gästebüchern bei Love.Letters, die Simone still beobachtete, ging das eindeutig hervor. Womöglich würde sie Lady Domme in Hamburg kennen lernen?
Nein, Arno würde sich sicher nicht mit seiner Domina oder seiner Sklavin in der Öffentlichkeit zeigen. Vielleicht hatte er sie deshalb so spontan eingeladen, weil beiden klar war, dass nichts zwischen ihnen laufen würde und die Begegnung eine rein freundschaftliche Basis haben würde?
Aber eigentlich war es ihr egal, warum
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