Im Netz der Meister (German Edition)
Bitte!«
Er stand auf.
Sofort duckte sie sich, liegend, unweigerlich, abwehrend, voller Angst. Wie ein riesiger Schatten sah er aus, die Kontur eines mächtigen Bösen aus einem schlechten Film, sie würde gleich aufwachen und dann säße sie zu Hause, bei Gerald, bei den Kindern, und alles würde gut sein.
Rule verließ das Zimmer und kam mit einem nassen Handtuch zurück. Er legte es vorsichtig auf die beißenden Striemen, kühlte ihre geschundene Haut und linderte ihre Schmerzen.
»Danke«, wollte sie sagen, doch nur ein Krächzen gelang ihr. Rule legte ihr den Finger auf den Mund und bedeutete ihr damit, ruhig zu sein.
Er streichelte ihr Haar, ihren Rücken. Sanft, fast liebevoll spürte sie seine Hände. Diesmal ließ sie es zu, sie konnte sich nicht wehren, nicht jetzt, jetzt nicht mehr. Es tat so gut, diese Geste zu fühlen.
Sie weinte.
Bitte lass mich raus, lass mich gehen, ich habe Angst, ich will nach Hause.
Sie wollte diese Worte sagen, aber sie konnte nicht, sie war wie gelähmt.
Als Rule ihr behutsam den Rücken, Po und Beine mit kühlender Salbe einrieb, weinte Simone noch heftiger.
Ihr Körper bebte von den Schluchzern, die sie schüttelten. Sie war erleichtert, dass dieser Teil des Albtraums scheinbar zu Ende ging. Sie war ihm dankbar, unendlich dankbar, und tief in ihrem Innern war sie sich des Widersinns dieser Gefühle bewusst. Simone bemerkte nicht, dass sie langsam und erschöpft einschlief. Rule saß neben ihr und bewachte ihren Schlaf.
Barfuß oder Lackschuh
Simone suchte das Gespräch mit Arno.
»Du bist doch ein alter Hase im SM-Geschäft. Was glaubst du, Arno, haben Leute, die sado oder maso sind, in ihrer Kindheit etwas erlebt, das sie damit kompensieren?«
»Lady, du machst dir viele Gedanken. Man kann das nicht pauschal beantworten. Aber wenn die Vermutung was für sich hat, dass auf diese Weise Kindheitserlebnisse oder psychische Verletzungen kompensiert werden, ist es nichts Unanständiges, seelische Verwundungen auf sexuelle und damit fraglos angenehme Art zu verarbeiten. Ich kann das jetzt nicht eingehend ausführen, Lady. Wir sollten uns treffen, unverbindlich, zu einem gemütlichen Gespräch beim Kaffee oder beim Bier. Was hältst du davon?«
»Wenn du ein platonisches Treffen meinst, dann gern, Arno.«
Simone wollte falsche Hoffnungen bei Arno ausschließen, sie hatte sich sein Foto noch einmal angesehen und keinerlei Ambitionen, sich mit dem korpulenten Glatzkopf auf irgendetwas einzulassen.
»Bist du denn bald mal in der Nähe von Köln, Arno? Ich kann schlecht zum Kaffeetrinken nach München kommen!«
»Nein, Lady, in Köln nicht, aber ich bin beruflich in zwei Wochen in Hamburg. Ich habe zwar einige Termine, aber einen Abend für dich könnte ich freischaufeln.«
»Hamburg? Arno, das ist von Bonn aus auch nicht um die Ecke und würde für mich ein teures Kaffeetrinken. Die Bahnfahrt und das Hotel – das kann ich mir nicht leisten.«
»Verstehe, Lady. Pass auf: Ich habe dort Termine mit meinem Verleger, mein neues Buch wird vorgestellt. Ich lade dich zur Premiere ein, ja? Und natürlich übernehme ich auch die Kosten für Hotel und Bahnreise.«
Simone war sprachlos. »Du hast ein Buch geschrieben, Arno? Was für eins? Bei welchem Verlag? Und warum willst du mich einladen?«
»Ach, das Buch, es ist ein Sachbuch über bestimmte gesellschafts- und kulturpolitische Entwicklungen seit der Weimarer Republik, nichts Besonderes. War mehr ein Gefallen für einen Freund, er ist Verleger.«
»Arno, ich bin beeindruckt, und deine Einladung nehme ich gerne an. Stellt sich nur die Frage, wie ich es meinem Mann erklären soll. Außerdem müsstest du genug Vertrauen haben und mir deinen realen Namen verraten.«
»Klar, Lady, beides wird geregelt, später, step by step. Ich muss jetzt mal raus. Geh mal auf meine Homepage und klick auf »Wesentliches im BDSM« und lies den Text. Bye und Küsschen.«
Und weg war er.
Simone surfte zu Arnos privater Homepage, fand den Link und wollte ihn eben anklicken, als ein Kunde den Buchladen betrat. Rasch stand sie auf, bediente ihn und ging, nachdem sie ein Reclamheftchen mit Gedichten von Gottfried Benn verkauft, kassiert und den Kunden zur Tür gebracht hatte, zurück an den Bildschirm.
Der BDSM-Text, den Arno ihr empfohlen hatte, war nur zu lesen, wenn man ihn herunterlud. Simone startete den Download und speicherte die Datei unter »Rechnungen – alt«. Als sie die Datei öffnen und lesen wollte, öffnete sich
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