Im Netz der Meister (German Edition)
und wieso Arno so spendabel war. Die Fronten waren geklärt, falsche Erwartungen konnte er nicht haben, und gefährlich konnte er ihr auch nicht werden, denn sie kannte seinen Realnamen.
Simone wollte ihn gerne treffen, weil sie ihn so lange virtuell kannte, weil sie ihn sehr sympathisch fand und neugierig war, wie er in der Realität sein würde. Und weil sie hoffte, dass er ihr wie ein väterlicher Freund bei der Beantwortung ihrer vielen Fragen helfen konnte.
Eine Erklärung für die Reise brauchte sie sich zu Hause nicht auszudenken, Arnos Einladung genügte und Gerald äußerte sich nicht weiter dazu als damit, ihr viel Spaß zu wünschen.
Arnos Mails wurden häufiger, er bat sie oft in den Chat und schloss nun seine virtuellen Gespräche nicht mehr mit den obligatorischen Worten: »Ich muss mal raus, Lady, bye und Küsschen«, sondern er schrieb nun jedes Mal: »Giiieeerrrrr, ich will dich, Lady!«
Simone musste jedes Mal lachen und nahm ihn noch immer nicht ernst. Ein verhängnisvoller Irrtum, aber das konnte sie noch nicht wissen.
Erst beim zweiten Blick auf ihre Einladung zu Arnos Buchpremiere bemerkte Simone, dass ihr Zimmer für samstags reserviert war, die Premiere jedoch donnerstags war. Sie fragte Arno, wie sie das verstehen solle.
»Lady, ein Versehen, ich regele das, kann nur ein Irrtum sein!«, schrieb Arno. Ein paar Stunden später kam die nächste Mail: »Lady, ich bin untröstlich, mein Fehler, es tut mir so leid! Ich hab dein Zimmer falsch gebucht und versucht, dich am Donnerstag und Freitag einzuquartieren, aber es gibt in ganz Hamburg kein Hotelzimmer. Ich schenk dir ein Buch, mit Widmung, keine Sorge, aber du musst dann eben am Samstag nur mit mir altem Sack vorlieb nehmen – ohne Buchpremiere.«
Simone glaubte ihm kein Wort.
Nicht, dass sie nicht an die Lesung und das neue Buch glaubte, das hatte sie längst recherchiert und die Meldung des Verlages, der auf Wiedenbeins neuestes Werk hinwies, im Internet gefunden. Sie glaubte Arno nicht, dass er sie überhaupt bei der Premiere hatte dabei haben wollen, und dass es in ganz Hamburg kein Hotelzimmer geben sollte, glaubte sie erst recht nicht. Es war ihr jedoch egal, denn sie freute sich auf einen anregenden Abend in der Hansestadt, und bis dahin dauerte es nur noch eine Woche.
Arno begann, mit ihr zu flirten. Er war dabei charmant und kokett: »Lady, auch ein alter Sack mit Dackelfalten kann amüsant sein, du wirst schon sehen!«
»Arno, ich will im Moment keinen neuen Dom, ich bin viel zu unsicher, um mich zurzeit auf jemanden einlassen zu können.«
Sie überlegte, ob er alle Frauen, mit denen er flirtete, »Lady« nannte, um die Vornamen nicht zu verwechseln.
»Lady, mach dir keine Sorgen, alles ist ganz einfach. Wir treffen uns und machen uns einen schönen Abend. Du wirst entscheiden, wie er endet. Wir werden was trinken, was essen und uns unterhalten. Lese ich in deinen Augen ein ‚No!’, werden wir weiter reden, weiter essen und weiter trinken. Lese ich in deinen Augen ein ‚Go!’, werde ich blitzschnell die Regie übernehmen, und es läuft alles anders, als du denkst. Einverstanden?«
Simone fühlte sich im ersten Augenblick überrumpelt. Sie fand Arno zwar nett, aber optisch unappetitlich. Und er war so schrecklich alt, älter als ihre Mutter. Und dann war da immer wieder dieses Bild mit der Gasmaske und dem Blümchenkleid. Sie konnte sich absolut keine Session mit ihm vorstellen, stimmte aber seinem, wie sie fand, fairen Vorschlag zu.
Wie oft er wohl die Rollen wechselte? Traf er an einem Abend seine Domina, kroch vor ihr herum und ließ sich schlagen, und am nächsten Tag seine Sklavin, über deren Hintern er die Peitsche schwang? Seinem Gästebuch bei Love.Letters entnahm Simone, dass Arno etliche Kontakte hatte und pflegte. Seine Moderatorenbeiträge in der Chattergruppe »Lustfesseln« wurden stets ausgiebig kommentiert und seine Seite war laut Besucherzähler überdurchschnittlich gut besucht. Drei Tage vor dem geplanten Treffen schrieb Arno eine SMS: »Lady, kannst du umdisponieren? Bin online, komm bitte in den Chat!«
Umdisponieren? Wollte er ihr absagen?
»Lady, kannst du schon am Freitag kommen? Ich hole dich am Bahnhof ab, ein neues Bahnticket kommt per Expressbrief, und für die Übernachtung am Freitag hab ich gesorgt.«
Was war das nun wieder?
»Ich denke, es gab in ganz Hamburg keine Zimmer?«
»Vitamin B, Lady: Beziehungen und persönliche Kontakte. Mir ist ein Termin ausgefallen, und ich habe
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