Im Netz der Meister (German Edition)
schon ab Freitagmittag für dich Zeit. Ein Tag ist zu wenig, bitte komme schon am Freitag!« Simone überlegte.
»Ich muss sehen, wie ich es meinem Mann beibringe, und fragen, ob meine Aushilfe mich hier im Laden so lange vertreten kann.«
»Gut, regele das und ruf mich nachher auf dem Handy an, ich muss jetzt raus! Giierrr, ich will dich, Lady!«
Dieser Typ ist wie ein Wirbelsturm, dachte Simone, trotz seines biblischen Alters.
Es war kein Problem, Gerald zu erklären, dass sie einen Tag eher nach Hamburg fahren würde. Simone log auch nur ein bisschen: »Ich möchte selbst eine Lesung mit dem Professor veranstalten und hab ihn deswegen angerufen. Er war supernett, ein alter Herr mit tollen Manieren, er hat mich zum Essen eingeladen, und dabei besprechen wir alles.«
Gerald nickte und sagte: »Gute Idee, diese Lesung. Was nimmt er an Gage?«
»Keine Ahnung, das besprechen wir alles in Hamburg.«
Manchmal hatte Simone das Gefühl, dass es Gerald immer gleichgültiger wurde, was sie tat. Er sagte zu allem Ja und Amen und beschwerte sich nicht mal, dass sie inzwischen kaum noch mit ihm schlief.
In wenigen Wochen begannen die Ferien, am zweiten Weihnachtstag wollten sie alle zusammen nach Norderney fahren. Simone fürchtete sich vor den Tagen und Nächten, die sie dann mit ihrem Mann verbringen würde. Im Urlaub würde sie nicht jeden Tag sagen können, dass sie nach einem langen Arbeitstag zu müde sei. Sie schob die Gedanken an den Familienurlaub erst mal beiseite.
Hamburg ist eine schöne Stadt. Hübsch, die roten Fassaden mit den weißen Fenstern und den grünen Kupferdächern. Ganz anders als Köln. Hamburg wirkt distinguiert, Köln ist heiter, Bonn ist gemütlich.
Tolle Geste von Arno, mir ein Erste-Klasse-Ticket zu schicken, die Reise war angenehm. Man hat mehr Platz in der ersten Klasse und die Abteile sind sauberer.
Wie er wohl ist? Seine Stimme klang klasse, als ich ihn neulich auf dem Handy anrief. Mit leicht kölschem Akzent und ganz tief, fast wie Lee Marvin. Klingelt mein Handy?
Oh nein, jetzt geh ich nicht dran. In zwei Minuten bin ich am Hauptbahnhof und muss aussteigen. Und wenn es Arno ist? Es ist Arno.
»Bist du schon da, Lady?«
»Ich fahre in diesem Moment im Bahnhof ein.«
»Lady, ich verspäte mich ein paar Minütchen, warte auf dem Platz vor dem Haupteingang. Wenn du aus der Tür kommst, ist rechts von dir ein Parkplatz, stell dich da hin, ich hole dich ab! Sorry und bis gleich, Lady. Ich freu mich auf dich.«
Typisch. Hat aufgelegt, bevor ich antworten konnte. So ein Hektiker.
Oje, hier ist es eklig nasskalt. Hoffentlich kommt er wirklich in ein paar Minuten und lässt mich bei diesem eisigen Wind nicht in der Kälte stehen. Kommt er zu Fuß oder mit dem Auto? Ich bin zu dämlich, ich frage vorher zu wenig. Der mit der Schlägermütze kommt direkt auf mich zu. Ist er das?
Mein Gott, ist der fett. Lieber Gott, lass das nicht Arno sein.
Der guckt, als ob er jemanden sucht. Schlägermütze und Windjacke. Nein, ein Professor läuft nicht so rum. Oder doch? Der Dicke glotzt mich an, winkt, oh nein. Er geht vorbei. Er hat jemand anderem zugewinkt. Gott sei Dank.
Wie lange dauern ein paar Minütchen? Ich steh hier fast ne Viertelstunde und es ist kalt. Der gelbe Mercedes fährt langsam. Der Fahrer guckt zu mir rüber. Ist er das? Nein, er fährt weiter. Ein roter Mercedes, ein Grauhaariger hinterm Steuer. Nein, der fährt auch weiter.
Ich stell mich besser näher an den Straßenrand. Arno hat nur mein Porträt gesehen, vielleicht erkennt er mich mit Schal und langem Mantel nicht. Der BMW-Fahrer spinnt! Man kann doch nicht mit fünfzig Sachen über einen Parkplatz ... die Tür geht auf, ein alter Herr springt raus. Er kommt auf mich zu mit ausgebreiteten Armen. »Lady! Wie schön dich zu sehen!«
Du bist mutig, dich im Netz zehn Jahre jünger auszugeben. Du siehst aus wie siebzig. Tränensäcke, Falten, Glatze. Viel älter als auf dem Foto. Auf dem Foto hab ich auch nicht gesehen, wie dick du bist. Dein Bauch sieht aus wie der einer Schwangeren im neunten Monat: eine dicke Kugel unter der grauen Anzugweste. Schöne Augen hast du. Leuchtend blau. Deine Zähne sind noch deine eigenen, sonst wären sie nicht so dunkel. Komisch, wenn du lachst, sieht man nur die untere Zahnreihe.
Die Stimme ist genial. Dein Dialekt auch: Der rheinische Singsang ist auch nach vielen Jahren in Bayern rauszuhören. Du erklärst mir die Gebäude, spielst ein wenig den Fremdenführer.
»Hamburg leidet,
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