Im Netz des Spinnenmanns: Thriller (German Edition)
Wie geht’s dir?«
Nachdem sie aus dem Schlund der Hölle zurückgekehrt war, hatte sie Jared gebeten, sie in Ruhe zu lassen. Die ersten sechs Monate ignorierte er ihren Wunsch und wich Tag und Nacht nichtvon ihrer Seite. Aber irgendwann hatte er dann doch aufgegeben und ihrer Bitte entsprochen. »Mir geht’s blendend«, log sie.
Nach einer kurzen Pause sagte er: »Das freut mich. Es ist schön, deine Stimme zu hören. Leider rufe ich an, weil hier bei uns in Auburn etwas passiert ist. Ein Mädchen wird vermisst. Wäre es möglich, dass du bei uns vorbeischaust?«
Sie musste insgeheim lachen. Es ließ sich nicht vermeiden. Von ihrer Schwester wusste sie, dass Jared an der University of Southern California Psychologie studiert hatte. Aber anstatt der beste Psychologe im ganzen Land zu werden, hatte er sich zur allgemeinen Verwunderung bei der FBI-Akademie beworben und war dort genommen worden. Nichts hätte Lizzy mehr schockieren können. Obwohl Jared an Wahrheit, Gerechtigkeit und sämtliche andere Wertvorstellungen seines Vaters glaubte, hatte er ihr gegenüber stets betont, dass er niemals in dessen Fußstapfen treten würde. Sein Vater war zuerst Polizist, dann FBI-Agent und schließlich Richter gewesen. Wer hätte je gedacht, dass Jared denselben Weg einschlagen würde?
»Bist du noch dran?«, fragte er.
»Ja, ich bin noch da. Ich hasse es, wenn ich schlechte Nachrichten überbringen muss, aber ich habe vor zwei Jahren meine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der Gesellschaft für vermisste und misshandelte Kinder an den Nagel gehängt. Irgendwann wurde mir klar, dass ich völlig durchdrehe, wenn ich noch einmal von einer Kindesentführung höre und mit ansehen muss, wie eine Familie daran zerbricht.«
Sie hörte durchs Telefon, wie er kräftig ausatmete. Offenbar tat Jared sich schwer, ohne Umschweife zur Sache zu kommen. Das war überhaupt nicht seine Art. Oder zumindest war es das früher nicht gewesen. Warum dann jetzt auf einmal? Es ergab keinen Sinn. »Tut mir leid«, sagte sie ein zweites Mal, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte. »Warum sagst du mir nicht, was los ist?«
Und dann werde ich mich noch mal entschuldigen und ablehnen.
»Wir haben ein fünfzehnjähriges Mädchen, das vermisst wird. Sie heißt Sophie Madison. Der Täter ist durch ihr Schlafzimmerfenstereingedrungen, hat sie verschleppt und eine Notiz hinterlassen.«
»Das klingt ja vielversprechend. Normalerweise hinterlassen Kindesentführer keine Notizen. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen und er meldet sich mit einer Lösegeldforderung.«
»Ich wollte, es wäre so einfach. Aber die Notiz ist an dich adressiert, Lizzy.«
Montag, 15. Februar 2010, 16:15 Uhr
Cathy Warner stieg aus ihrem Auto und begriff sofort, was der lokale Wetterbericht gemeint hatte. Die Luft fühlte sich frostig an, eine Kälte von der Art, die einem bis in die Knochen ging. Der Wetterbericht hatte vor einem Windchill-Effekt im Raum Sacramento gewarnt, einer Mischung aus kalter Luft und starkem Wind. Bei so einem Wetter bestand für Menschen, die sich zu lange im Freien aufhielten, Unterkühlungsgefahr.
Cathy folgte den anderen Eltern in das Hallenbad, vorbei am Eingangstresen und durch die Doppeltür, die zum Schwimmbeckenbereich führte. Über dem Wasser stand Dampf und es roch penetrant nach Chlor. Die meisten Mädchen aus der Schwimm-Mannschaft standen in Handtücher gewickelt am Beckenrand. Ein paar andere hielten sich noch im Wasser auf.
Cathys Tochter, Brittany, stand am hintersten Ende der Gruppe. Sie hatte sich ihr Handtuch eng um die eingefallenen Schultern geschlungen, starrte auf den Boden und kaute auf einem Handtuchzipfel herum. Cathy fragte sich, ob ihre Tochter wegen irgendeiner Sache nervös war.
Der Trainer, ein Mann namens Sullivan, überragte die Mädchen um fast einen halben Meter. Er war kräftig gebaut und gut in Form für einen Mann Mitte fünfzig.
Obwohl Brittany das Schwimmen als Wettkampfsport betrieb, seit sie fünf Jahre alt war, hatte sie diesen Trainer noch nicht lange. Nachdem er mit seiner Ansprache fertig war, wechselte Sullivannoch ein paar Worte mit jedem Mädchen, bevor er sie nach Hause schickte. Als Cathy bei ihrer Tochter ankam, sprach der Trainer gerade mit ihr.
Cathy hörte zu, wie Sullivan ihrer Tochter erklärte, woran sie in den nächsten Monaten arbeiten musste. Sie kannte den Trainer erst seit zwei Monaten. Er machte einen umgänglichen und netten Eindruck und verstand sich großartig mit den
Weitere Kostenlose Bücher