Im Netz des Spinnenmanns: Thriller (German Edition)

ja«, sagte Caroline und ignorierte dabei Cunningham, der wie wild mit den Händen herumfuchtelte und versuchte, sie zur Eile anzutreiben.
    Nancy ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Sie glitt von ihrem Stuhl und ging zur Tür hinaus. Caroline blieb an ihrer Seite und puderte ihr das Gesicht, während sie Cunningham den Flur entlang folgten. Eigentlich sollte Nancy mit ihren Gedanken bei den Morgennachrichten sein, aber das war sie nicht. Der Anrufer hatte ihr immer noch nicht seinen Namen genannt. Ihr erstes Gespräch mit ihm lag zwei Tage zurück. Er hatte behauptet, er sei der echte Killer – der Mörder, den man den Spinnenmann nannte. Frank Lyle, der für den Mord an Jennifer Campbell verhaftet worden war, sei nichts weiter als ein Nachahmungstäter. Sie hatte ihm zunächst nicht geglaubt, war aber am Telefon geblieben.
    Was, wenn er die Wahrheit sagte?
Serienmörder waren dafür berüchtigt, dass sie mit ihren Taten im Rampenlicht stehen wollten. Sie waren auch bekannt dafür, dass sie bei den Medien anriefen und ihnen Informationen zuspielten, obwohl sie dabei riskierten, ihre Identität preiszugeben.
    Der Anrufer versprach, ihr hieb- und stichfeste Beweise dafür zu liefern, dass er wirklich der Spinnenmann war, wenn sie ihm die psychiatrischen Unterlagen zum Fall Lizzy Gardner beschaffte. Der Mörder wollte, dass Nancy die Patientenakte von Lizzy stahl. Irgendwie musste er herausgefunden haben, dass Nancy und Lizzy bei derselben Psychiaterin, Linda Gates, in Behandlung waren. Bei dem Gedanken, dass er so viel über sie wusste, wurde ihr unwohl.
    Patientenakten stehlen verstieß gegen ethische Prinzipien. Nancy hätte gleich nach dem ersten Anruf das FBI alarmieren sollen. Aber irgendetwas hatte sie davon abgehalten. Im Laufe der Jahre hatte sie jede Menge Kriminelle interviewt. Diese Leute neigten dazu, beim Lügen nervös zu werden. Natürlich gab es auch einige hartgesottene Verbrecher, die schon so viele Interviews hinter sich hatten, dass sie die Kunst des Tarnens und Täuschens perfekt beherrschten. Aber dieser Mann, das wusste sie am Ende ihres ersten Gesprächs, sagte die Wahrheit. Und deshalb hatte sie sich eingeredet, sie würde sogar dem FBI helfen, wenn sie ihre Gespräche mit dem Mörder geheim hielt. Zunächst einmal würde sie ganz einfach vorgehen: das Vertrauen des Mörders gewinnen und so viel wie möglich über den Mann in Erfahrung bringen. Natürlich war er mit hoher Wahrscheinlichkeit überaus intelligent und würde ihr nicht so ohne Weiteres auf die Nase binden, wo er wohnte. Aber wenn es ihr gelang, die einzelnen Puzzlesteine zusammenzufügen, bestand zumindest eine winzige Chance, dass sie den Polizeibehörden genügend Informationen zuspielen konnte, damit diese den Mann schnappten. In Gedanken sah sie bereits die Schlagzeilen: »Nancy Moreno führt FBI auf die Spur des Spinnenmannes.« Sie wusste bereits, wo sie ihren dritten Emmy hinstellen würde.
    Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Der Spinnenmann war kein Dummkopf. Er hatte sich an sie gewendet, weil sie die Beste ihres Fachs war. Als sie endlich im Studio ankam, standen die Adern in Cunninghams Hals und Gesicht so stark hervor, als drohten sie jeden Augenblick zu platzen. Das Chaos um sie herum gab ihr das Gefühl, als befände sie sich mitten in einem Tornado. Sie glitt auf ihren Stuhl.
    »DREI, ZWEI, EINS.«
    Cunningham, der ihr gegenübersaß, deutete mit dem Finger auf sie. Sie blickte in den Teleprompter und lächelte. »Guten Morgen, Sacramento. Hier ist Nancy Moreno mit den KBTV-Morgennachrichten.«

Kapitel 15

Mittwoch, 17. Februar 2010, 12:35 Uhr
    Jessica hatte nun schon dutzendmal die Liste mit den Namen durchgesehen. Die ersten drei Opfer des Spinnenmanns – Jordan, Laney und Mandy – hatten ein paar Dinge gemeinsam: Der Täter hatte die Leichen in der Nähe von Wasser abgelegt und sie alle wiesen an verschiedenen Körperstellen Spinnenbisse auf. Eines der Mädchen hatte zum Zeitpunkt ihres Verschwindens die zweite Klasse der Highschool besucht. Die anderen beiden gingen in die dritte Klasse. Alle drei besuchten verschiedene Highschools in Sacramento oder im umliegenden Placer County. Vier verschiedene Highschools, wenn man Rachel Foster, das vierte Opfer, mitzählte. Sie war das einzige Mädchen, das man während Lizzys Gefangenschaft gefunden hatte.
    Rachel Fosters Leiche tauchte in der Nähe des Folsom Lake auf. Mit fünfzehn war sie das jüngste Opfer des Spinnenmanns. In einem kürzlich