Im Netz des Spinnenmanns: Thriller (German Edition)
fanden.
Cathy schüttelte den Kopf. Brittany kam in einem Jahr auf die Highschool und darüber machte sie sich Sorgen. Vor allem deshalb, weil ihre eigene Highschool-Zeit der reinste Alptraum gewesen war. Sie ging gerade in die Oberstufe, als Lizzy entführt wurde. Lizzy war stets die Lieblingstochter ihrer Eltern gewesen, attraktiv, zierlich, intelligent. Und am Ende war Lizzy diejenige, die die Familie zerstört hatte.
Cathy hatte stets das Gefühl gehabt, neben ihrer Schwester nur die zweite Geige zu spielen. Vor der Entführung hatte sie gedacht, es könne nicht noch schlimmer kommen. Aber es kam schlimmer.
In der Zeit, als Lizzy verschollen war, fühlte Cathy sich wie tot. Ihre Eltern beachteten sie überhaupt nicht. Niemand fragte sie, was sie dachte oder wie sie mit dem Verschwinden ihrer Schwester zurechtkam. Niemand fragte sie nach den massiven Schuldgefühlen, an die sie sich wie an einen Rettungsanker klammerte. All das interessierte niemanden.
Die Erinnerung an diese schreckliche Zeit in ihrem Leben beschleunigte ihren Puls. Sie wollte gerade aussteigen und sich auf die Suche nach ihrer Tochter machen, doch dann sah sie, wie Brittany um die Ecke kam. Einer der Jungs rief ihr im Vorbeigehen etwas zu, aber sie beachtete ihn nicht.
»Hey«, sagte Brittany. Sie nahm auf dem Beifahrersitz Platz und warf ihren Rucksack auf die Rückbank. Als sie lächelte, glänzte ihre neue Zahnspange. Dann zeigte sie auf ihren oberen rechten Eckzahn. »Da ist heute ein Draht kaputtgegangen.«
Cathy beugte sich näher zu ihr, um besser sehen zu können. »Das gibt’s doch nicht. Für das Geld, das wir dafür bezahlt haben, müssten diese Dinger eigentlich ein Leben lang halten.«
»Tut mir leid. Ich hätte diesen Apfel nicht essen sollen. Ich glaube, dabei ist es passiert.«
Cathy konnte ihrer Tochter schlecht davon abraten, Obst zu essen. »Mach dir deswegen keinen Kopf. Wenn du beim Schwimmen bist, rufe ich beim Zahnarzt an und lasse mir einen Termin geben.«
»Hast du den Mathe-Nachhilfelehrer angerufen?«
»Wieso? Was für eine Note hast du heute bei deinem Mathe-Test bekommen?«
Brittany rümpfte die Nase. »Ein C minus. Dieser Lehrer kann einfach den Stoff nicht richtig erklären. Hast du meinen Badeanzug dabei?«
Cathy fuhr los. Ihr war nicht entgangen, wie geschickt ihre Tochter schnell das Thema wechseln konnte. »Er ist im Kofferraum. Wer waren denn diese Kinder vor der Turnhalle?«
»Keine Ahnung«, sagte Brittany. »Ich hab nicht auf sie geachtet.«
Cathy spürte, wie ihre Tochter sie beobachtete.
»Hast du schon wieder geweint, Mom?«
»Nein.«
»Du hast ganz verquollene Augen und eine rote Nase.«
»Ach so, deswegen. Im Radio lief ein trauriges Lied, bevor du gekommen bist.«
»Klingt eher nach den Wechseljahren. Meine Bio- und Chemielehrerin redet ständig über ihre Hitzewallungen.«
»Ich hoffe, soweit ist es bei mir noch nicht«, sagte Cathy. »Mit dreiunddreißig bin ich dafür wohl noch ein bisschen zu jung.«
»Bleibst du heute im Club und schaust mir beim Schwimmen zu?«
Die Frage traf Cathy unvorbereitet. »Warum? Möchtest du das?«
»Ja, das wäre super. Du hast das schon länger nicht mehr gemacht.«
Brittany hatte sie noch nie zuvor gebeten, beim Schwimmtraining zuzusehen. Normalerweise wollte ihre Tochter sie immer loswerden. Ihr besorgter Tonfall beunruhigte sie. »Was ist los? Wirst du von jemandem in deiner Mannschaft gemobbt?«
»Nein.«
»Was ist es dann?«
»Nichts, Mom. Vergiss es. Du brauchst nicht zu bleiben.«
Cathy hielt ihren Blick auf die Fahrbahn gerichtet. Sie musste an den Trainer denken und fragte sich, ob er womöglich daran schuld war, dass Brittany sich so komisch benahm. Sie war dem Mann bisher zweimal begegnet. Er machte einen netten Eindruck. Die anderen Mütter mochten ihn alle. »Ich möchte dableiben«, sagte sie bestimmt. »Ich will zuschauen, wie du ein paar Rekorde brichst.«
Kapitel 16
Mittwoch, 17. Februar 2010, 15:05 Uhr
Jared brachte seinen Geländewagen am Straßenrand zum Stehen. Einen Augenblick saß er still da, dann stieg er aus und sah sich um. Er schlug die Wagentür so laut zu, dass das Geräusch über die Wiese mit dem hohen Gras hallte. Hier war die Stelle, wo er Lizzy in jener Nacht, als sie entführt wurde, abgesetzt hatte.
Ein kalter Wind pfiff ihm um die Ohren. Er schlug den Kragen seiner Wolljacke hoch und nahm denselben Weg, den Lizzy damals gegangen war. Lizzy zufolge war es in jener Nacht ungewöhnlich dunkel
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