Im Paradies deiner Kuesse
Nat ihn ansah.
„So waren wir auch, Finn. Touristen.“
Jetzt verstand er überhaupt nichts mehr! In seinem ganzen Leben war er noch nicht ein einziges Mal wie ein Pauschaltourist gereist! Was meinte Natalie nur?
Sie wirkte sehr ernst. „Ich will nicht mehr nur an allen möglichen Sehenswürdigkeiten vorbeilaufen. Ich will kein Leben, in dem ich überall nur einmal kurz vorbeischaue, um dann ein Häkchen auf irgendeiner Liste zu machen – verliebt, verlobt, verheiratet! Ich will richtig leben!“
Aha. Und was haben wir bitte bisher getan?
„Und ich muss dich leider um einen letzten Gefallen bitten. Wärst du so nett, unsere Trennung noch geheim zu halten, bis ich nächste Woche aus Tonga zurückkomme? Ich möchte nicht, dass die Medien davon Wind bekommen, während wir beide in der Weltgeschichte unterwegs sind und nicht darauf reagieren können.“
Finn nickte. Er hätte ihr jeden Wunsch erfüllt. Ihm war schon alles egal. Wie betäubt fühlte er sich. Vielleicht war es besser so. Wenigstens spürte er auf diese Weise nicht sein gebrochenes Herz.
Natalie beugte sich zu ihm herüber und küsste ihn sanft auf die Wange. „Auf Wiedersehen, Finn. Ich hoffe, du findest, was du suchst!“
Und dann ging sie. Schon Sekunden später verlor er sie im Gewimmel von Koffern und Menschen aus den Augen.
Mitfühlend stellte ihm der Barkeeper ein Glas Bier hin. Finn nahm einen tiefen Zug. Unglaublich! Es dauerte tatsächlich länger, ein Bier zu zapfen, als sitzen gelassen zu werden.
„Okay, diese Hebefigur wiederholen wir gleich noch einmal!“
Allegra warf ihrem Tanzpartner einen ärgerlichen Blick zu. Dann stand sie auf und rieb sich die schmerzenden Knie. Damien, dem Choreografen von „Die kleine Meerjungfrau“, riss sicher bald der Geduldsfaden. Von ihr ganz zu schweigen!
„Es würde helfen, wenn du deine Hände an die richtigen Stellen setzen würdest“, raunte sie Stephen zu, der heute Nachmittag offenbar besonders unkonzentriert war.
Wenn er sie hochhob und in der Luft drehte, rutschten seine Hände immer einige Zentimeter tiefer, als für diese Hebefigur nötig. Allegra presste die Lippen zusammen und schob seine Linke demonstrativ von ihrem Po auf die Hüfte.
„Du verstehst gar keinen Spaß mehr“, beschwerte sich Stephen, nicht im Geringsten schuldbewusst.
Sie legte eine Hand auf seine Schulter, die andere an seine Wange und ging wieder in Position. „Wir beide, du und ich, hatten nie diese Art von Spaß miteinander. Und glaub mir, es wird auch nie dazu kommen.“
Schade eigentlich. Denn Stephen war groß, blond, gut gebaut und so ziemlich der einzige Mann unter fünfzig, den sie regelmäßig sah. Und der nicht auf Männer stand. Aber leider hatte er den Ruf, ein notorischer Frauenheld zu sein. Als einziger gut aussehender heterosexueller Mann in einer Ballettgruppe war Stephen eigentlich ständig im Flirtmodus. Solange ihr Körperkontakt rein professionell blieb, hatte Allegra auch kein Problem damit. Sie ignorierte seine Avancen einfach. Heute jedoch ärgerte sie sich darüber. Wie sollte sie einen guten Eindruck auf Damien machen, wenn ihr Tanzpartner sich wie ein unreifer Schuljunge aufführte?
„Ich glaube, es gibt auch noch ein paar andere Ballerinen in unserer Gruppe, die du bisher noch nicht ins Bett bekommen hast. Warum beglückst du die in der Pause nicht mit deinen Aufmerksamkeiten und lässt mich dafür in Frieden?“
„Vorsicht, Süße! Sonst ändern sie den Namen des Balletts am Ende in ‚Der kleine Kaktus‘ statt ‚Die kleine Meerjungfrau‘!“
Nach diesem freundschaftlichen Schlagabtausch verlief der Rest der Probe reibungslos. Zumindest dachte Allegra es. Sie verlor sich völlig in der Musik, der Bewegung. Vergaß alles um sich herum – die Kritiken, den Stress mit ihrem Vater, sogar jenen Anruf, der ihr einen wundervollen Augenblick lang Herzklopfen bereitet hatte. Nichts war mehr wichtig, außer dem Tanzen. Genau wie früher. Fast …
„Nein, nein, nein!“, rief Damien, als sie kurz vor Schluss eine besonders schwierige Kombination probten. Sofort unterbrach der Pianist sein Spiel.
„Du verkörperst ein unschuldiges junges Mädchen, meine Liebe!“, erklärte der Choreograf gereizt. „Versuch doch bitte wenigstens, etwas Gefühl in deine Bewegungen zu legen. Sonst schläft uns das Publikum spätestens in der Mitte des zweiten Akts ein!“ Dann wandte er sich an den Pianisten: „Noch einmal!“
Also begannen sie von vorn. Und dann noch einmal.
Allegra
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