Im Pfahlbau
und sah im schwachen Schein der Glut den braungelben, schwarzgetüpfelten Bauch einer Sandotter, die langsam durch das Reisig herabschlüpfte. Wie gelähmt folgten Evas Augen den Bewegungen des Tieres. Sie sah es in einer Ritze des Wandbelags zum Boden streben, wo es den aschgrauen, verschlungenen Leib der von der Feuerstelle ausstrahlenden Wärme aussetzte. Eva rührte sich nicht vor Angst, die Schlange zu reizen. Die Mücken wurden zudringlicher, bohrten die Rüssel in Evas Lippen und Augenwinkel, und sie mußte es geschehen lassen. Regungslos verharrte sie auf ihrem Lager auch dann, als sich zwei andere Ottern zu der ersten gesellten. Nun war die Strafe der gekränkten Gottheit für den Undank da! Eva betete ohne Zuversicht um Barmherzigkeit. Keine Flamme erhellte mehr den Raum; das Feuer glühte schwach und schwächer. Evas Angst wuchs in dem Maße, in dem ihre Augen versagten. Schließlich vermochten ihre Blicke die Finsternis nicht mehr zu durchdringen. Sie lauschte angestrengt, hörte das gedämpfte Raunen des Bachs, vernahm das Trippeln und Krabbeln unsichtbarer kleiner Tiere. Vom Walde her klang matt das Kreischen, Pfeifen und Kichern der Eulenvögel. Da! Ein kläglicher Aufschrei, vielleicht einer Wildtaube, die auf ihrem Nest von einem Marder oder einem Uhu gemordet wurde. Wieder das Trappeln kleiner Füße in unmittelbarer Nähe, dann das gereizte Zischen einer Schlange und das Schmatzen eines fressenden Tieres. Räumte ein Igel unter den Schlangen auf?
Erst als die Strahlenbündel der aufgehenden Sonne die Stube erhellten, wagte sich Eva von ihrem Lager. Die unheimlichen Besucher waren fort. Doch lag da nicht der Kopf einer Schlange? Vorsichtig näherte sie sich dem Rest der Igelmahlzeit. Angeekelt wich sie zurück. Ihr war, alshätte sich der Oberkiefer mit dem häßlichen, graubeschuppten Horn bewegt.
Mit einer langen Rute kehrte sie die Asche von den glimmenden Kohlen, schob den Schlangenkopf hinein und streute Reiser und Laub darauf. Als die ersten Flämmchen aufflackerten, trat sie ins Freie. Bis zu den Knöcheln im Bache stehend, wusch sie sich Kopf, Oberkörper und Arme. Die prickelnde Kälte des Wassers tat ihr wohl.
Sie suchte Peter auf und erklärte mit großer Bestimmtheit, sie werde nicht eine Nacht mehr in ihrer Erdstube zubringen, wo sie sich vor Ungeziefer und Schlangen nicht zu retten wisse. Er las die große Angst in ihren Augen und hatte Mitleid mit ihrer Pein. Ein Frösteln überlief seinen Leib. Er stellte sich vor, daß er vielleicht auch Schlangen in seinem Zelt beherbergt hatte und durch eine Bewegung im Schlaf ihre Angriffslust hätte reizen können. Doch als Eva darauf bestand, in ihr verlassenes Baumnest oder in die Höhle zurückzukehren, da schüttelte er den Kopf. Seine Augen waren auf die blinkende Wasserfläche des Moores gerichtet, aus dem die Birken herüberleuchteten. Er hob die Rechte und wies auf die schlanken, weißen Stämme. »Dort werden wir wohnen. Hast du das Vogelnest im Rohr gesehen, hoch über dem Wasser, wo keine Schlange es erreichen kann? Was der Vogel kann, können wir auch, aber wir machen es besser.«
Pfahlbau im Moor
Beim Frühstück sprach Eva den Wunsch aus, Peter solle ihr aus den verlassenen Wohnhöhlen den Muldenstein holen helfen, sie wolle wieder Brei kochen. Er ging nicht darauf ein, sondern schilderte, wie er sich den Nestbau über dem Wasser dachte. Die Birken, die im festen Grund tief unter dem Wasser des ehemaligen Bachgrundes wurzelten, sollten als Pfähle dienen – ähnlich den Schilfhalmen beim Vogelnest. Und in die Gabeln der steil aufsteigenden Äste wollte er, so gut es ging, Traghölzer einlegen, die ein starkes Bodengebälk halten sollten. Die Wände ließen sich aus Flechtwerk herstellen, das mit Lehm und Moos gedichtet werden konnte. Zum Dach wollte er Hakenstäbe und Schilf nehmen. Peter war so zuversichtlich, daß Eva ihm mit weit aufgerissenen Augen lauschte. Sie sah förmlich den Pfahlbau vor sich erstehen.
Da trug der Wind braunen, übelriechenden Rauch von außen ins Zelt. Peter und Eva stürzten ins Freie. Vom Goldbach wälzte sich dicker, brauner Qualm durch das Dickicht herüber. Was war das? Quer durchs Holz lief Peter dem heißer und heißer werdenden Rauch entgegen und Eva ihm nach. Bald hörten sie das Knistern des Feuers und sahen Funken im Rauch. Niedrige Flammen, vom Wind gedrückt, loderten aus Evas Erdstube. Das Dach mit seiner dicken Schicht aus Reisig, Laub, Moos, Gras und Steinen war
Weitere Kostenlose Bücher