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Im Pyjama um halb vier (German Edition)

Im Pyjama um halb vier (German Edition)

Titel: Im Pyjama um halb vier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob M. Leonhardt , Gabriella Engelmann
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ich das miterleben muss. Es gibt so viele Leute, die meinen Bruder sehen und sofort denken, dass er ein total armer Typ ist, mit dem man Mitleid haben muss. Dabei hasst Robby dieses ganze Mitleid noch viel mehr als seine Behinderung. Es gibt sogar Leute, die trauen sich nicht mal, mit ihm zu reden. Vielleicht weil es ihnen peinlich ist – kann ja sein, dass der Typ im Rollstuhl total verrückt ist und anfängt rumzusabbern, wenn er versucht zu antworten. Aber am schlimmsten sind die, die so tun, als wäre er gar nicht da. Wirklich, für einige Menschen ist Robby unsichtbar. Wenn ich zum Beispiel mit ihm zusammen in der Stadt unterwegs bin und ihn schiebe – die Leute gucken nur mich an, reden nur mit mir, beachten ihn gar nicht. So als wenn er nicht nur querschnittsgelähmt wäre, sondern auch taub und stumm und blind.
    LULU:
    Oha – das klingt ja alles ziemlich traurig und mies. Es tut mir sehr leid für Robby. Aber was ist jetzt der Grund für die akute Alarmstimmung bei euch zu Hause?
    BEN:
    Seit Robby den Unfall hatte, ist einfach nichts mehr wie vorher. Vor allem nicht bei uns in der Familie. Das liegt nicht nur daran, dass er nicht mehr gehen kann, sondern vor allem auch daran, wie er sich verhält … Einerseits ist Robby noch genauso wie vorher, ein total netter sympathischer Typ, ein normaler 15-Jähriger halt. Aber gleichzeitig ist er das eben auch nicht. Oft ist es nicht gerade einfach, mit ihm zusammenzuleben. Nur um dir ein Beispiel zu geben: Seit ungefähr einem Jahr steht Robby total auf Heavy-Metal-Musik. Das hat uns alle ziemlich überrascht, weil er vorher eher Hip-Hop und Soul gut fand. Aber er hat mir mal erklärt, dass ihn seit dem Unfall diese ganze weich gespülte Musik einfach nur noch nervt. Robby hat öfter mal echt düstere Phasen, weißt du, vermutlich wenn ihm wieder klar wird, dass er nie so ein Leben führen kann wie alle anderen. Dann zieht er sich manchmal für Stunden oder sogar Tage in sein Zimmer zurück und ist einfach nicht ansprechbar. Und dann hört er vor allem Musik, UND ZWAR SO LAUT, DASS UNS ANDEREN DAS HIRN AUS DEM SCHÄDEL SPRINGT. Für ihn ist das, glaube ich, eine Möglichkeit, irgendwie mit seiner Wut klarzukommen. Aber das ist schon okay, jeder von uns hat schließlich irgendeinen Spleen. Ich jedenfalls komme immer noch total gut mit ihm klar, seit dem Unfall fast noch besser als vorher.
    LULU:
    Und deine Eltern? Ist da das Verhältnis auch so gut wie bei euch beiden?
    BEN:
    Leider nicht. Die Sache wächst ihnen über den Kopf, sie haben das Gefühl, mit Robby nicht mehr umgehen zu können. Und jetzt kommt der Hammer: Meine Eltern wollen ihn in ein Internat abschieben, und zwar noch dieses Jahr. Ich kann’s echt nicht glauben. Das ist so ’ne miese Nummer. Nur weil Robby ab und zu nicht der nette, ruhige, harmlose Kerl ist, sondern einfach mal machen möchte, was ihm Spaß macht… weil er seinen Frust ausleben muss wie jeder normale Mensch. Weil es ihm halt auch mal nicht gut geht und er etwas im Trübsal versinkt. Was in seiner Situation ja wohl noch besser nachzuvollziehen ist als im Normalfall. Aber da gibt es dann direkt die Quittung! (Rede zurzeit kein Wort mit meinen Eltern. Versuche es jedenfalls.)
    Sorry, dass ich dir so die Ohren volljammere (oder deinen Bildschirm volltexte). Aber ich weiß, dass meine Sorgen bei dir gut aufgehoben sind. Sind sie doch, oder?
    LULU:
    Ja, klar, natürlich! Ich versuche gerade, mich in deine Eltern, Robby – aber vor allem auch, in dich hineinzuversetzen.
    Ich habe persönlich keinerlei Erfahrung mit Menschen, die im Rollstuhl sitzen, außer wenn man halt mal jemandem auf der Straße oder im Bus begegnet. In solchen Momenten habe ich aber in allererster Linie immer großen Respekt, denn ich glaube schon, dass man sehr, sehr tapfer sein muss, um damit klarzukommen. Ich bin zwar keine Bewegungsfanatikerin, aber die Vorstellung, nicht (mehr) tanzen zu können, nicht einfach so herumlaufen zu können, immer erst überlegen zu müssen, ob dort, wo man hinwill, auch alles rollstuhlgerecht ist, das ist bestimmt hart. Am meisten würde mich aber stören, dass man bei so vielem auf die Hilfe und Geduld anderer angewiesen wäre.
    BEN:
    Danke! Ich weiß, dass du es ehrlich meinst. Und du hast natürlich auch recht. Ich finde die Vorstellung, eines Tages aufzuwachen und meine Beine nicht mehr bewegen zu können, auch gruselig. (Und ab und zu bin ich so dankbar dafür, dass das Schicksal mich verschont hat.) Aber andererseits ist

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