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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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Brust. Sie lachte und sagte: Na mein Kleiner, na mein Kleiner, na mein Kleiner, und kitzelte ihn, bis er überhitzt war und nicht mehr konnte vor Lachen. Die Sonne sandte ihre Strahlen durch die Ahornbäume, die Long’s Hill säumten, und das Laub raschelte im Wind. Sie musste unbedingt aufhören, er bekam keine Luft mehr, und als sie endlich aufhörte, war ihr Gesicht gerötet. Sie lächelte breit, ihre Augen waren hellblau, und die Flecken blauen Himmels, die er zwischen den Blättern über ihrem Kopf sah, waren so hell, dass es schmerzte.
    Dann fasste sie ihn am Kopf, legte die Hände über seine Ohren, und schaute ihn mit einer Intensität an, die nichts mit Lachen zu tun hatte.
    Es war eine Intensität, die mit dem Horror ihrer Sucht und ihrem Kampf dagegen zusammenhing. Er sah eine Ader in ihrer Schläfe pulsieren, ihr Atem roch nach Zimtkaugummi, sie trug einen Pullover aus hellrosa Angorawolle und Acid-Wash-Jeans, und sie hatte Lipgloss auf den Lippen, das nach Wassermelone roch. Niemand wird ihn je von der Überzeugung abbringen, dass sie ihn liebte, ihn immer geliebt hatte. Sie presste ihn mit dem Knie auf den Bürgersteig und drückte ihm fast die Luft ab, weil sie Angst hatte, ihn zu verlieren.
    Diese Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass wahre Liebe enttäuschen kann. Die Enttäuschung kann lähmend sein, aber sie schmälert nicht den Wert der Liebe. Man muss sich in Acht nehmen, wenn man dieser Art von Liebe im Weg steht, denkt er. Sie kann einen verbrennen, betäuben. Sie mag es nicht wert sein. Aber sie ist es wert.
    Kaum lag das Geld auf dem Tisch, lief Frank dunkelrot an. Er saß reglos vor seinem Teller. Es kam Kevin so vor, als sähe Frank, dass er nicht darum herum kam, das Geld einzustecken, als brächte er es zugleich aber nicht über sich.
    Sie hatten als Kinder beide eine lähmende Einsamkeit verspürt, die sie nicht hätten in Worte fassen können noch wollen, denn sie war beschämend, etwas, was sie bis an ihr Lebensende nach Möglichkeit verdrängen würden. Aber jeder der beiden Jungen hatte diesen Mangel im Leben des anderen gespürt, und sie hatten eine grimmige Bewunderung füreinander empfunden, weil sie dessen Sog beide im großen und ganzen widerstanden hatten.
    Kevin stand auf, holte sich einen Löffel und nahm eine Packung Eis aus dem Tiefkühlschrank. Er aß direkt aus der Packung, und dann entdeckte er einen Blutfleck auf dem Löffel Eis, den er sich gerade in den Mund schieben wollte. Es war Blut von seinem Herpes, und es ekelte ihn, er fluchte leise und warf die ganze Eispackung in den Müll.
    Er wusch den Löffel ab, machte die Hintertür auf, und die Küche wurde von dem Geräusch des Regens und einem frischen, salzigen Geruch vom Meer erfüllt. Kevin stimmte eine Art Scat an, Pfiffe und Maschinengewehrgeratter und das mahlende Geräusch eines Fotokopieres. Dann warf er den Löffel, mit dem er rhythmisch gegen den Rahmen geklopft hatte, ins Spülbecken und sagte: Ach verdammt, Frank, es ist doch nur Geld. Es muss unsere Freundschaft nicht ruinieren.
    Kevin dachte an den Garten bei Mrs. Hallett, an das massive Klettergerüst aus Kunststoff mit den Holzstangen und geknoteten Tauen und einem Autoreifen, in dem sich der Regen sammelte. Samstagmorgens in der Frühe war das Gras von silbriggrauem Tau benetzt, fast schon Reif, der in der Sonne funkelte.
    Wenn er und Frank über die wellige Rasenfläche liefen, hinterließen sie zwei grüne Spuren im dunstverhangenen Gras. Vom Garten aus sahen sie das Verandafenster, hinter dem Mrs. Hallett Blusen oder ihre helle Uniform bügelte.
    Weil sie wussten, dass sie hinter der dunklen Fensterscheibe stand, konnten sie ihre Pflegemutter vergessen und sich in die Betrachtung einer Ameisenstraße versenken, auf der ab und zu eine tote Ameise von den anderen aus dem Weg geräumt wurde. Sie sahen zu, wie die Sonne Tautropfen auf einem im Wind erzitternden Spinnennetz aufleuchten ließ. Sie sahen zu, wie Wespen aus ihren papiernen Nestern schlüpften, taumelten und schwankten und wieder zurückkrochen. Diese kleinen Gartendramen fesselten die Jungen derart, dass sie während dieser kurzen Zeit in ihrer Kindheit fast eins wurden.
    Es war eine wortlose Verbindung, die ganz auf dem gemeinsamen Staunen in einem großen Garten beruhte. Frank nahm das Geld vom Tisch, steckte es sich in die Hemdtasche und knöpfte sie zu.
    Viel Erfolg mit deinen Gerätereparaturen, Kevin, sagte er. Er war jetzt bereit aufzubrechen, und Kevin wollte, dass er ging, aber er

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