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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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war, dem Sauerstoffmangel, wie mit seiner seelischen Ermüdung. Seelische Ermüdung war ein Begriff, den sein Tanzlehrer, Dr. Callahan, oft gebraucht und den Frank völlig vergessen hatte, doch hier in dem Feuer in der Morris Street fiel er ihm wieder ein, und der Begriff passte so gut, dass Frank fast in Tränen ausgebrochen wäre, während die Flammen über die Ärmel seiner Nylonjacke liefen, den Kunststoff verschmorten und Rinnen in seine Arme brannten. Er spürte, wie sich die Haut auf seiner Stirn zusammenzog, weil seine Augenbrauen weggesengt wurden. Er spürte, wie seine gesamte Gesichtsbehaarung, selbst die Haarwurzeln, verbrannten. Was geschah: Er kam zu sich und stürzte sich aus dem Fenster. Doch später fiel ihm der Goldfisch wieder ein.
    Mitten in einem Feuer zu stehen ist eine religiöse Erfahrung, dachte Frank. Valentin hatte ihm gesagt, zurzeit wohne niemand in dem Haus, und es gebe einige Haushaltsgegenstände zu verkaufen.
    Eine Stereoanlage zum Beispiel, die er praktisch umsonst kriegen könne.
    Der Russe war ihm auf der Treppe entgegengekommen und hatte zu ihm gesagt: Komm doch einfach mit und schau es dir an, mein Freund. Ich könnte Hilfe beim Möbelpacken gebrauchen.
    Frank hatte ihm dort auf der Treppe wortlos Kevins Geld gegeben, und Valentin hatte ihm auf die Schulter geklopft und gesagt, das sei sehr gut. Er schloss die Faust um das Geld, schwenkte sie, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen und sagte, in wenigen Tagen werde er den Betrag verdoppelt haben. Trotzdem bestand er darauf, dass Frank mitkam und ihm mit den Möbeln half.
    Du könntest ein paar Möbel gebrauchen, hatte der Russe gesagt. Frank wusste, dass das eine Anspielung auf das Wasserbett und die Asche seiner Mutter war.
    Sie waren auf einen Drink zu Valentin hochgegangen.
    Erst trinken wir mal einen, hatte Valentin gesagt. Seine Wohnung war sauber und aufgeräumt. In einer Ecke stand ein Plüschflamingo mit langen, lindgrünen Beinen, wohl ein Gewinn von der Regatta.
    Ich habe einen kleinen Sohn, sagte Valentin mit einem Nicken in Richtung des Plüschtiers.
    Der gefällt ihm bestimmt, sagte Frank.
    Die Alternative wäre ein Teddybär gewesen.
    Daher der Flamingo, sagte Frank. Er kippte den Wodka, und dann fühlte er sich, als wäre er in einer Kissenschlacht getroffen worden. Eine Art sanfter Schlag, der ihn wundersam beduselte.
    In diesem Zimmer hat sich mal ein Inuit erhängt, sagte Frank.
    Irgendwas riecht hier komisch, sagte Frank, als sie das Haus in der Morris Avenue betraten. Er wusste, dass es Benzin war. Es wurde ihm mitten im Satz klar. Wenn die Polizisten später seinen Leichnam fanden, würden sie denken, er habe das Feuer gelegt. Noch während ihm das klar wurde, verlor er das Bewusstsein.

Valentin
    Er trat das Gaspedal bis auf den Boden durch; Frank war gegen ihn gesackt. Sein Kopf war auf Valentins Oberschenkel gesunken, schwer wie eine Bowlingkugel. Valentin hatte den Jungen über den Rasen zu seinem Pick-up geschleift, Franks Arm über den Schultern. Als er Franks Handgelenk ergriff, spürte er, wie unter seinen Fingern eine Blase aufplatzte. Wegen der austretenden Flüssigkeit konnte er nicht richtig zupacken. Der Junge war schwerer, als Valentin erwartet hatte, und stolperte, halb ohnmächtig, über seine eigenen Füße.
    Valentin hatte dem Jungen eine höhere Dosis verabreicht, als er es eigentlich für nötig hielt, denn er wollte nicht, dass Frank litt. Er hatte die Wirkung der Droge schon bei verschiedenen Frauen beobachtet, hatte erlebt, wie sie nach der Einnahme fast einen Tag lang durchschliefen. Er begriff nicht, wie der Junge wieder hatte aufwachen können, nachdem ihm der Kopf auf die Brust gesunken war.
    In der Fahrerkabine hatten sich die Augen des Jungen nach hinten gedreht, seine Augäpfel waren bläulich. Die Augenlider bebten, schlossen sich aber nicht. Das Weiße in seinen Augen war zur Decke gerichtet, und Valentin bog mit quietschenden Reifen um die Ecke. Dem Jungen trat Schaum aus den Mundwinkeln, er atmete abgerissen, seine Lippen bewegten sich wie im Gebet. Er sagte irgendetwas auf, etwas Uraltes, Geläufiges, in mechanischer Andacht. Sein wortloses Gebet wurde immer wieder von einem schwachen, aber rauhen, verschleimten Husten unterbrochen, es klang, als hätte seine Lunge irreparablen Schaden genommen. Hals und Gesicht waren von Blasen überzogen. Im Wagen stank es nach verbranntem Plastik und Rauch und den Verbrennungen des Jungen. Seine Windjacke war zu groben, schimmernden

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