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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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geradeheraus um das Geld bitten musste, und es bedeutete, dass die fragile, wichtige Freundschaft, die die beiden jungen Männer seit ihrem fünften Lebensjahr gepflegt hatten, damit zu Ende sein würde.
    Komm doch auf einen Tee rein, Frank, sagte Kevin.
    Ein schmaler Flur führte zu einer engen Küche, die leicht nach Schimmel roch. Kevin zog eine Bratpfanne hervor, betrachtete sie eingehend und schlug sie dann zweimal gegen die Arbeitsplatte, woraufhin ein Schwung Mäusedreck auf das bereitliegende Stück Zeitung rieselte. Er hielt die Pfanne unter fließendes Wasser und wischte sie sorgfältig mit dem unteren Ende seines T-Shirts aus. Dann hielt er sie ins Licht, um sich zu vergewissern, dass sie wirklich sauber war.
    Er wies mit der Pfanne auf einen Küchenstuhl, und Frank setzte sich. Mehrere Marihuanapflanzen hingen in Makramee-Ampeln von der Decke, und weitere standen auf einem Tisch am Fenster, das auf einen kleinen Garten hinausging. Kevin trug ein T-Shirt, auf dem ein Skelett eine Bierdose in der knochigen Hand hielt.
    Ich repariere technische Geräte, egal wie kompliziert, sagte Kevin. Es gibt nichts, was ich nicht über Fotokopierer weiß.
    Es war Kevin, der Frank den Teilzeitjob im Copyshop besorgt hatte.
    Er kippte eine halbe Tüte Tiefkühlpommes in einen Topf auf der hinteren Flamme. Es zischte und brodelte, und kochendes Fett spritzte aus dem Topf.
    Kevin trat einen Schritt zurück, hielt sein T-Shirt am Bauch fest und langte über den Herd, um auf einen Schalter an der Dunstabzugshaube zu drücken. Er hatte die wächserne Gesichtsfarbe eines Menschen, der an Schlaflosigkeit leidet, und die dunklen Augenringe des Gewohnheitskiffers, und an der Unterlippe hatte er ein offenes Herpesbläschen.
    Eine raubtierhafte Energie hielt seinen Körper in ständiger Bewegung, er klopfte oder trommelte, gab seltsame geflüsterte Laute von sich, ein stimmloses Luftausstoßen, das wie Gewehrfeuer oder die Rückkopplung eines Verstärkers klang, kpuch, kpuch, kpuch, yeah, uiiiiiiii, yeah, kawumm, dazu schlug er sich unablässig mit beiden Händen auf die Oberschenkel, und Frank bereute es schon jetzt, dass er hereingekommen war.
    Kevin war alles andere als liebenswert mit seiner dilettantischen Tätowierung, auf der ein Totenschädel hinter einem zerbrochenen Herzen hervorlugte, der vom Rasieren wunden Haut über seinem Adamsapfel, und seinem geradezu qualvoll anzuschauenden nackten, suchenden Blick. Er verkaufte Haschisch, ging jedoch diskret mit seinem Geld um, und er hätte IT-Fachmann werden können – er besaß eine scharfe Intelligenz und hatte ein intuitives Verständnis von Computern –, hätte er nicht immer wieder depressive Phasen gehabt, in denen er sich monatelang nicht von der Couch rührte.
    Frank musste an den ersten Tag denken, an dem sie zusammen in die Kindertagesstätte gegangen waren, in Begleitung von Mrs. Hallett, der Pflegemutter, bei der sie als Fünfjährige ein halbes Jahr lang gleichzeitig gewesen waren. Franks Mutter war im Krankenhaus, wo sie beide Brüste abgenommen bekam, und Kevin war von seiner Mutter bei der St. John’s Regatta unter einem Baum stehengelassen worden. Sie hatte gesagt, sie sei gleich wieder zurück, doch es hatte einen Monat gedauert.
    Als Frank die Tagesstätte betrat, roch er Hühnernudelsuppe. Die lauwarme, pissgelbe, salzige Brühe in bunten Plastikschüsseln, in der Fettaugen und Nudeln schwammen, erfüllte Frank mit Verzweiflung.
    Drei Wochen bevor er Kevin kennenlernte, hatte er einen Blick auf den Gazeverband erhascht, der auf der seltsam jungenhaften Brust seiner Mutter klebte. Er hatte gesehen, wie der Arzt die Gaze anhob, darunterschaute und das, was unter dem Verband verborgen war, mit dem Zeigefinger seiner behandschuhten Hand berührte. Ganz vorsichtig klebte er den Verband wieder fest, und als Frank sah, mit welch außerordentlicher Behutsamkeit seine Mutter behandelt werden musste, wurde er von der gleichen Angst übermannt, die bei der ersten Operation dazu geführt hatte, dass er monatelang wieder ins Bett machte.
    Mrs. Hallett, Franks Pflegemutter, war eine massige Frau mit dichten, grauschwarzen Locken, die ihr breites, rotes Gesicht umrahmten und ihr bis auf die Schultern fielen. Ein feines Netz geplatzter Äderchen, Folge ihres herzhaften Lachens und der anstrengenden Arbeit in ihrem ausgedehnten Garten, überzog ihre Wangen. Ihre hellbraunen Augen waren von schwarzen Wimpern umrandet, und ihre Schneidezähne standen ein wenig

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