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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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rührte sich nicht.

Frank
    Dachte Frank? Ja, er war außerordentlich klar im Kopf. Er befand sich mitten in einem Feuerball. Die Luft war wie Gelee. Er bekam keine Luft in seine Lunge. Er war in einem Haus eingeschlossen, und das Haus war in Flammen aufgegangen und seine Kleider, seine Haare, sein Gesicht brannten. Er war in einem brennenden Zimmer aufgewacht, ohne sich daran zu erinnern, das Bewusstsein verloren zu haben.
    Seine Luftröhre war versengt, und seine Lunge war versengt, und das Blut, das durch seine Adern und Kapillaren zu seinem Herz floss und dringend Sauerstoff brauchte, war heiß. Auf seinen Armen bildeten sich Blasen, er sah es mehr, als dass er es spürte. Er wusste nur eins: Er bekam keine Luft.
    Er dachte an die Tür und überlegte, wo sie im Verhältnis zur Zimmermitte lag. Glas barst, der Spiegel über dem Kamin zersplitterte und fiel in gezackten Scherben zu Boden. Um seine Beine wiegten sich die Flammen wie lange Gräser auf einer Wiese, und die Hitze kroch die Möbel hinauf und verlieh dem Klavier einen flüssigen Glanz. Die Oberfläche des Klaviers war ein sich kräuselnder Teich, und die Hitze wand sich um Frank wie eine Decke, er strampelte sich frei und schaffte es zur Tür, doch als er den Türknauf berührte, war dieser schon zu heiß. Er zog sich das Hemd über Mund und Nase. Die Zeit war aus den Fugen, das wusste er. Er war nicht länger als eine Minute in diesem Zimmer gewesen. Oder waren es fünf Minuten? Doch die Minuten waren geschmolzen, hatten sich verzogen. Ohne Sauerstoff fiel die Zeit in sich zusammen. Es konnte nicht mehr als eine Minute gewesen sein.
    Er warf sich mit der Schulter gegen die Tür, doch sie bewegte sich keinen Millimeter. Es gab nur einen Weg hinaus, nämlich diese Tür, und die Tür ging nicht auf. Eine massive Hitzewand raste durchs Wohnzimmer, der Treppe entgegen, sie traf Frank und warf ihn fast zu Boden, und aus der Berührung entstanden noch mehr Flammen, die an seinem Rücken hochleckten, über Wirbelsäule und Schultern liefen, sie erfassten seine Kopfhaut und zerrten mit aller Macht an seinem Haar. Er spürte, wie sich auf dem einen Lid eine Blase bildete. Sein Auge schwoll zu. Er konnte es nicht mehr offenhalten. Er fuhr mit dem Fingernagel über die Blase, sodass sie aufplatzte und das Wasser in sein Auge rann. Er keuchte, hatte keine Luft mehr in der Lunge.
    Er taumelte in die Mitte des Zimmers zurück, sah den Goldfisch panisch in seinem Glas hin und her flitzen. Ihm war klar, dass Valentin die Tür verbarrikadiert hatte.
    Er hatte oben bei Valentin ein Glas Wodka getrunken, doch was darauf gefolgt war, stand in keinem Verhältnis zu einem Glas Wodka. Was folgte, war eine schwebende Euphorie, ein Nachlassen der Schwerkraft und alles Schweren. Frank hatte seit dem Tod seiner Mutter nie wirklich ausruhen können. Was immer sein Wodka enthalten hatte, es war farblos und geruchlos und sehr stark. Er fühlte sich plötzlich ausgeruht.
    Valentin hatte ein brennendes Streichholz geworfen, so viel wusste er. Alles, was vorher gewesen war, der Tod seiner Mutter, die Abende am Hotdog-Stand, die Art und Weise, wie Colleen ihren Körper an seinen gepresst hatte, der viele Regen, der den Sommer über gefallen war, das Geld und die Gier danach, die Notwendigkeit, die zwingende Notwendigkeit, Geld anzuhäufen, die außerordentliche Hässlichkeit seiner Wohnung, der Raupenbefall, das alles entschwand, war im Nu sanft und umfassend entschwunden, als er aus dem Schnapsglas trank, das Valentin ihm reichte.
    Valentin hatte das Glas vor Frank hingestellt, er selbst hatte auch eins, es waren kleine Gläser, die mit einem Weihnachtsbaum bedruckt waren. Zusammengehörige Gläser, wie Frank feststellte. Valentin hatte sich Frank gegenüber gesetzt, er saß vorgebeugt da, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, und sah zu, wie Frank trank. Er war aufmerksam und geduldig. Valentins Augen hatten die Farbe von Bierflaschen, mit bernsteinfarbenen Sprenkeln darin.
    Wie geht es dir, mein Freund?, fragte Valentin.
    Sie waren die Treppe hinuntergegangen und in Valentins Pick-up gestiegen, und dann hatten sie das Haus in der Morris Avenue betreten, aus dem die Möbel hinausgeschafft werden sollten.
    Er hatte Valentin beim Möbelpacken helfen sollen.
    Doch jetzt stand er mitten in diesem Feuer und dachte über Wesen und Form seiner Erschöpfung nach, einer körperlichen Erschöpfung, so viel war ihm klar, die genausoviel mit dem Vakuum zu tun hatte, das durch das Feuer entstanden

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