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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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Tischkante geschlossen, mal hierhin, mal dahin. Er schien nicht stillhalten zu können.
    Sie sind keine junge Frau mehr, sagte er. Mit den Fersen zog er seinen Stuhl etwas näher zu ihr. Er beugte sich vor, die Ellbogen auf die Knie gestützt, die Hände gefaltet, den Kopf geneigt, als wäre er in Gedanken versunken. Dann hob er den Kopf wieder, und eine Locke fiel ihm ins Auge. Er ignorierte es.
    Sie fordern ihr Glück heraus, sagte er. Der beiläufige Ernst in seiner Stimme erschreckte sie.
    Ich kenne mein Herz, sagte sie und richtete sich auf. Er schwang unvermittelt auf seinem Stuhl herum, rollte ratternd über die Fliesen – wie ein Trommelwirbel klang es –, und dann saß er am Schreibtisch und blätterte rasch die Papiere durch. Er unterschrieb die Formulare. Sie hatte gewollt, dass er unterschrieb, doch als sie jetzt den Stift übers Papier kratzen hörte, kam es ihr vor wie Verrat. Er überließ sie sich selbst. Sie war allein für sich verantwortlich. Er drehte sich erneut auf seinem Stuhl und reichte ihr die Formulare.
    Das muss ja mal ein Film sein, sagte er. Er wandte ihr den Rücken zu, griff nach seinen Unterlagen und einem Plastikbehälter mit Zungenspateln. Er stand auf, steckte sich den Stift in die Hemdtasche, und sie sah, dass er Birkenstocksandalen trug. Graue Wollsocken und Ledersandalen. Was hatte sie getan?
    In dem Film ging es um die trostlose, widrige Landschaft und den menschlichen Triumph über die Natur, aber auf eine viel stillere, intimere Weise ging es auch um das Böse. Eine Gemeinschaft in den Klauen eines religiösen Eifers, der aus der Tyrannei ständigen leichten Hungers und der Selbstaufgabe der Menschen erwachsen war. Die Mutter des Mädchens war der Sündenbock, und die Dorfgemeinschaft würde sie gnadenlos opfern. Was für eine Rolle! Sie verlangte nach einer Schauspielerin von Isobels Format – einer alternden Schönheit, einer abgehärmten Versucherin. Isobels Wangenknochen, ihr breiter Mund mit den vollen Lippen – die Kraft in ihrem Gesicht – ein faszinierendes, ikonisches Gesicht, die dunklen, starken Augenbrauen, die braunschwarzen Wimpern, fast maskulin, wäre da nicht diese schwer zu fassende Verletzlichkeit.
    Der Kameramann hatte viel Zeit investiert, um die Schatten richtig zu setzen, und ihr Gesicht war wie Marmor, unnahbar, hypnotisch. Sie stand am Fenster, das Licht fiel ihr auf Stirn und Augenbrauen, ein nacktes Gesicht. Die Kirchenglocke läutete mitten in der Nacht, obwohl kein Windhauch ging. Der Priester kippte eimerweise Wasser über die Glocke, um den wie auch immer gearteten Dämon, der in sie gekrochen war, zu vertreiben. Und dann Isobel im Kerzenlicht, sie sah verloren und zugleich wachsam aus.
    Madeleine hatte ihr ganzes Leben gebraucht, um die Art von Karriere zu machen, die man brauchte, um einen Spielfilm realisieren zu können. Die Investoren sahen sofort, dass sie vertrauenswürdig war. Wenn sie im Geiste aufzählte, was alles für sie sprach, klang das so: Ich bin noch nie gescheitert. Ich habe noch nie aufgegeben. Ich lasse mich nicht abwimmeln. Ich bin begehrt.
    Der Schnee kam, und als Trevor Barker, der in der Wohnung über ihr wohnte, in den Aufzug trat, roch er nach Schnee und Abend und Kindheit und gescheiterter Liebe, und auch das kalte, tropfnasse Titanfahrrad roch sie. Sie machten etwas Smalltalk, über das Fahrrad und übers Fitbleiben. Ein Rennrad aus Titan, auf dem sie ihn schon durch Schneewehen den Hügel hatte hinaufradeln sehen. Den ganzen Winter über hatte sie ihn kaum wahrgenommen. Aber dann hatte er gesagt, er könne doch mal für sie kochen. Er koche gern. Und probiere immer mal wieder gern etwas Neues aus. Er könne mit Sesamöl Aromen zaubern, die ihr vermutlich noch nie untergekommen seien. Außerdem habe er ein Händchen für Fisch.
    Da war sie nun also, zu ihrer ersten Verabredung. Sie hatte an seine Wohnungstür geklopft und gehört, wie etwas in eine Bratpfanne gegeben wurde, es zischte und brutzelte, und sie roch Ingwer. Einen Augenblick lang erwog sie kehrtzumachen. Ihn zu versetzen. Aber schon wurde die Tür aufgerissen, und da stand er mit einer Sektflöte in der Hand, im Hintergrund lief Bossa Nova, das Wohnzimmer in blonder Kiefer, aber nicht zuviel davon. Das Wohnzimmer sah einladend aus, und er hatte gut definierte Arme.
    Das Blondeste im Zimmer war seine Gitarre.
    Die Gitarre lehnte an dem kleiefarbenen Sofa und schrie danach, gespielt zu werden. Sie hoffte, dass er nicht spielen würde. Es würde

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